Die Zarin der Nacht
langweilig«, fügt er hinzu.
»Das ist kein Verhör, Grischenka.« Jetzt klingt ihre Stimme deutlich gepresst und heiser. Was da hörbar wird, sind kleine Eruptionen der angestauten Eifersucht, die sie verleugnet. DrauÃen tappen Schritte, auf dem Hof wiehert ein Pferd.
Er mustert sie schweigend. Wie kann jemand so lange so konzentriert auf ein und dieselbe Stelle blicken?
»Du bist die Kaiserin. Du kannst tun, was dir gefällt. Du kannst mich verhören, foltern, ins Gefängnis werfen lassen.«
Man könnte es als Kapitulationserklärung auffassen, aber das ist es nicht.
Leise wie auf Katzenpfoten geht Grischenka zum Fenster und reiÃt die Vorhänge auf. Er zerrt so heftig an dem Stoff, dass sich oben an der Wand eine Befestigung lockert und etwas Gips auf sein dichtes kastanienbraunes Haar rieselt. Einen Moment lang sieht es so aus, als wollte er den Staub einfach abschütteln. Aber dann leckt er an einer Fingerspitze, fährt sich damit übers Haar und lutscht den Finger ab.
Sie starrt ihn an, bis die Tür sich hinter ihm schlieÃt. Dann bricht sie in Tränen aus.
*
Ich kann so nicht leben.
Am Morgen sperrt sie die Tür ihres Arbeitszimmers ab. Der Wachposten hat Anweisung, niemanden vorzulassen.
Sie setzt sich an ihren Schreibtisch, sichtet die verschiedenen Papiere und entscheidet, in welcher Reihenfolge sie zu bearbeiten sind. Dann nimmt sie die scharf beschnittene Feder zur Hand. Man kann Liebe wegsperren, zu einer kompakten Masse verdichtet wie SchieÃpulver in einem Fass.
Sie hört, wie Grischenka mit dem Posten streitet. Ein dumpfes Poltern, Klirren von Metall. Jemand rüttelt an der Klinke.
Windiges Zeug, denkt sie. Es wird nicht lange standhalten. Wie die Festungen der Türken.
Sie ist auf alles gefasst: Angriff und Unterwerfung, Vorwürfe und Schuldeingeständnisse.
Die Tür springt auf, aber er stürmt nicht herein. Ruhig gemessenen Schritts geht er durch den Raum direkt auf sie zu.
Das Lid über dem blinden Auge hängt etwas schlaff herunter. Es ist nie ganz geschlossen. Sie würde gern mit der Zunge über seine Wimpern streichen, aber sie verdrängt den Gedanken. Ein Tennisball hat ihn getroffen, er hat sich an einem Billardstock gestoÃen, hat er früher behauptet. Warum ist es Männern so unangenehm, zu sagen, was es mit ihren Wunden auf sich hat? »Das hier?«, fragt Alexej Orlow mit gespielter Verzweiflung und streicht mit dem Finger über die Narbe auf seiner Wange, als hätte er sie gerade erst bemerkt. Niemand wird gern an seine Niederlagen erinnert .
»Wie können wir es vermeiden, einander ständig wehzutun, Katinka?«, fragt Grischenka.
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Er fragt es noch einmal, als sie später miteinander im Bett liegen. Mit seinem schwieligen Fuà schiebt er das Laken weg und reiÃt ein Loch in den Stoff. Sein Nachthemd ist hochgerutscht, sodass sie sein krauses Schamhaar sehen kann.
Aber jetzt hat er eine Antwort parat. Sie ist in einer Zeichnung versteckt, die er ihr mitgebracht hat. »Wo hab ich sie nur hingetan?«, murmelt er und tastet blind neben dem Bett herum. Sein Kopf taucht zum FuÃboden hinab. Als er wieder hochkommt, hat er ein zusammengerolltes Papier in der Hand.
Es ist ein schönes Bild. Blätter, Wurzeln, weiÃe Blüten. »Hast du das gezeichnet?«, fragt sie. Er schüttelt den Kopf und zeigt auf die fleischigen Blätter, die an ihren Rändern mit stacheligen Borsten besetzt sind. Manche sind aufgeklappt wie eine Blüte mit etwas Rotem in der Mitte. »Das ist verführerisch für Insekten«, sagt Grischenka und zeigt auf andere Blätter, zwischen denen Fliegen gefangen sind. Am Rand einer der zugeklappten Blattfallen schaut der Hinterleib eines Ohrwurms hervor.
»Das ist eine fleischfressende Pflanze«, erklärt er. Wenn etwa ein welkes Blatt vom Wind in die Falle geweht wird, wird der Klappmechanismus nicht ausgelöst, er reagiert nur auf Bewegungen von Lebewesen. Insekten, die so klein sind, dass sich der Aufwand der Verdauung nicht lohnt, können durch das Geflecht der Borsten entkommen. Wenn die Beute groà und stark ist und sich wehrt, schlieÃen sich die Klappen fester.
Sie runzelt die Stirn.
Ist das die Antwort auf seine Frage? Dass sie sich nicht aus seiner Umklammerung befreien kann, weil er sie nur um so fester hält, je mehr sie strampelt?
Oder will er darauf hinaus, dass sie ihn gefangen hält? Was
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