Die Zarin der Nacht
morgendlichen Sturm zusammen. Abgebrochene Zweige, zerrissene Blätter, Strohbüschel.
Sie lächelt, während sie sich die Hände am Kamin wärmt. Löst ihren Rock, ihre Unterkleider, wirft ihre Hofgarderobe ab wie eine Schlange, die sich häutet.
Grischenka murmelt im Schlaf, merkt immer noch nicht, dass sie da ist, mit ihren warmen Fingern über seinen Bauch fährt, spürt, dass er sich bewegt.
Sein gutes Auge zuckt, öffnet sich. Seine Hand greift nach ihrer.
»Wer sind Sie?«, murmelt er. »Was wollen Sie?«
Als Antwort lacht sie aus vollem Herzen. Wirft sich ihm in die Arme, gleitet mit ihren nackten Beinen an seinem Körper entlang, kann seine Muskeln fühlen, das drahtige Haarbüschel. Nimmt ihn und wird genommen, zergeht in Liebe.
Danach verlässt sie sein Bett nicht. Manchmal sind diese friedlichen Momente sogar noch süÃer als die Lust. Sie birgt ihren Kopf auf seiner Brust, horcht auf das Schlagen seines Herzens. Oder streichelt die Kerbe in seinem Kinn, bohrt darin mit dem Finger, bis er danach schnappt wie ein Hund, der eine Fliege jagt. Oder sie schnüffelt an einer Strähne seiner seidigen kastanienbraunen Haare, kann sich nicht vorstellen, dass sie jemals grau werden oder ausfallen.
Er ist ihr Trost und ihre Zuflucht. Mit ihm kann sie die beschwerlichen Geschäfte vergessen, die sie erwarten, sobald sie seinen mit Samt und Plüsch gepolsterten Raum verlässt.
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Warte. Lass dir dein Begehren nicht anmerken. Verbirg deine Lust und deinen Schmerz. Auch die Liebe braucht ihre Geheimnisse, damit sie am Leben bleibt.
Eines Nachts wacht sie auf und findet den Platz neben sich leer. Die Uhr schlägt zwei. Aus dem Garten dringt ein quiekendes Geräusch von einem Tier herauf. Es klingt, als weinte ein
Säugling. Schlaftrunken steht sie aus dem warmen Bett auf und macht sich auf die Suche nach ihm. BarfuÃ, in ihrem dünnen Nachthemd.
»Der Herr ist noch nicht zurück, Majestät«, sagt sein Kammerdiener. Sie setzt sich in einen Sessel in Grigoris Bibliothek und wartet. Es ist kalt, sie friert. Es wird drei Uhr, dann vier Uhr. Der Diener schaut wieder herein. Er lächelt entschuldigend, aber er gibt keinerlei Erklärung, warum sein Herr immer noch nicht da ist. Männer halten zusammen. Eine Tasse heiÃen Kaffee? Grigoris mit Pelz gefütterten Umhang? Sie weist seine Angebote zurück. Wie ein verstocktes Kind: Sie will Grischenka bestrafen, es geschieht ihm ganz recht, wenn sie krank wird.
Stimmen nähern sich, Lachen. Die Stimmen gehen vorbei.
Es war jemand anders.
Ist ihm etwas zugestoÃen? Ist er in eine nächtliche Prügelei geraten? Hat ihn jemand überfallen? Vielleicht liegt er, von einem Messerstich verwundet, in irgendeiner dunklen Gasse und verblutet? Oder hat er eine andere, eine, die anschmiegsamer ist oder jünger? Ist seine Liebe nur Schauspielerei?
Ihre Phantasien sind absurd. Sie beweisen nur, welche Macht er über sie hat.
Um halb fünf, mit steifen Gliedern, ganz krank vor Eifersucht und Sehnen, steht sie auf und geht wieder zu Bett. Sie kann nicht schlafen. Jeden Moment kann er hereintreten. »Es tut mir leid, Katinka«, wird er sagen. »Wenn ich gewusst hätte, dass du wach bist und dir Sorgen machst, wäre ich sofort zu dir gekommen.«
Um sechs Uhr erscheint die Zofe, um ihr bei der Morgentoilette zur Hand zu gehen. Die Kaiserin macht ihr ein Zeichen, still zu sein, und horcht gespannt. »Da ist niemand, Majestät«, sagt das Mädchen nach einer Weile.
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Es ist schon nach zehn Uhr, als Grischenka ins Zimmer stapft. Die Tür schlägt hinter ihm zu, aber er achtet nicht darauf. Sein Haar ist zerzaust, seine Augenklappe ist mit etwas WeiÃem verschmiert. Puder? Kalk?
»Hast du gut geschlafen, Katinka?«, fragt er in vollkommen unbefangenem Plauderton.
Sie schüttelt stumm den Kopf. Sie ist den Tränen nahe.
»Ich habe auch kein Auge zugetan«, sagt er, geradeso, als wären seine Schlaflosigkeit und die ihre ein und dasselbe Ding. Er dünstet diesen Männergeruch aus. Schnupftabak und Wodka. Eine scharfe Note von Schweià wie nach körperlicher Anstrengung.
»Wo warst du?«, bringt sie hervor, aber es klingt nicht so ruhig und beiläufig, wie sie gerne möchte.
Er runzelt die Stirn. »Ich habe nur eine Nacht mit Kameraden durchgemacht, weiter nichts«, sagt er. Er gähnt und streckt sich. »Es war
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