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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Siegeslorbeer bekränzter Krieger.
    Am Dienstag ist Saschenka tot.
    Â»Niemals!«, schreit sie, als Wischka sie bittet, den Tag der Beerdigung zu bestimmen.
    Â 
    Siebzehn Tage und Nächte verlässt sie ihr Schlafzimmer nicht. Sie kleidet sich nicht an, wäscht sich nicht. Niemand darf den Raum betreten außer Wischka, die nur heimlich seufzt, aber nicht darüber klagt, dass sie die Dienste einer Zofe übernehmen muss, und nur hin und wieder einen scheuen Blick auf all die Teller mit Essen wirft, das die Kaiserin nicht angerührt hat.
    Katharinas Augen sind rotgeweint. Vor dem Spiegel untersucht sie ihren faltigen Hals, das dünner werdende Haar, die seltsamen Hautlappen, die sich auf ihren Schultern und unter ihren Brüsten gebildet haben. Wenn sie daran zieht, bluten sie.
    Sie hat Saschenkas Sachen herbringen lassen. Seine Gemmensammlung, seine Bücher, seine Perücke, seine Kleider. Sie versucht seine Galauniform anzuziehen, aber sie ist ihr zu eng. Sie legt sie auf ihr Kissen. Der Stoff riecht nur nach Pfeffer. Sie muss niesen.
    Die Hälfte der Seiten von Algarottis Buch sind nicht aufgeschnitten.
    Â 
    In der achtzehnten Nacht geht sie in den Raum, wo Saschenkas einbalsamierte Leiche aufgebahrt liegt. Sie weigert sich immer noch, ihn begraben zu lassen.
    Â»Gehen Sie«, befiehlt sie den Trauernden. Niemand wagt es, sich ihrem Befehl zu widersetzen.
    Der Sarg ist mit weißem Satin ausgeschlagen. Kerzen brennen. Ihr Blick gleitet langsam von den schwarzen Schaftstiefeln hinauf zu dem roten Rock, zu dem silbernen Eichenlaub am bestickten Kragen. Sie zwingt sich dazu, sein Gesicht anzusehen. »So ruhig und friedlich«, hat Wischka gesagt.
    Nein, nicht ruhig, denkt sie. Besiegt. Um sein Leben betrogen. Und ich mit ihm.
    Kunstvoll frisiertes Haar, Locken über den Ohren. Jemand hat Saschenka zwei Goldmünzen auf die Augen gelegt. Zwischen den Fingern hält er einen Pass in die andere Welt, unterschrieben vom Priester. Sie möchte die Münzen und das Papier
wegnehmen, aber sie bringt es nicht über sich. Sie scheut sich, Saschenka zu berühren, sie will seine Haut warm und lebendig im Gedächtnis behalten.
    So sitzt sie nur da auf einem niedrigen Stuhl und sieht ihn an. »Warum hast du mich verlassen?«, fragt sie.
    Sie findet keine Antwort im regungslosen Gesicht des Geliebten. Er weiß nichts von ihrem Begehren, ihrem Leid, ihrem Schmerz. Als ob seine Lippen sie nie liebkost, ihr niemals Lust geschenkt hätten. Als schüchtern ist er beschrieben worden. Nicht bei mir, denkt sie. Bei mir konnte er nicht schüchtern sein.
    Mit jedem Atemzug, der ihre Brust verlässt, entschwindet ein kleiner Teil von ihm für immer.
    Sie gräbt ihre Nägel in ihre Hand, bis Blut fließt. Sie zieht am Rand der Wunde, als wollte sie untersuchen, was unter der Haut verborgen liegt
    Â 
    Â»Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht, als ich davon erfuhr«, sagt Grischenka. Seine Stirn ist von der Sonne verbrannt. Am Kinn klebt etwas Ruß.
    Sie hält die Hand, die er ihr hingestreckt hat. Die starke, harte Hand eines Soldaten.
    Er trägt noch seine mit Schlamm bespritzten Reisekleider. Seine Stiefel hinterlassen dunkle Schmutzspuren auf dem Teppich. Er ist in sieben Tagen die mehr als tausend Meilen von Krementschuk hergereist. Er hat sich von niemandem aufhalten lassen und ist in ihr Schlafzimmer vorgedrungen. Er hat sie angesehen und gesagt: » Matuschka, ich will nicht, dass du ihm ins Grab folgst.«
    Sie möchte weinen, aber sie hat keine Tränen mehr.
    Â»Komm«, sagt Grischenka.
    Sie gehorcht, einfach, weil ihr nichts anderes einfällt. Sie gehen die Treppe hinunter, durch die Eingangshalle, hinaus in die Gärten. Ihr ist dumpf bewusst, dass sie beobachtet wird. Ver
schreckte Augen spähen durch Schlüssellöcher, lugen hinter Ecken hervor. Ängstliche, besorgte Blicke.
    Die Bäume wirken in dem Dämmerlicht gespenstisch schattenhaft. Als sie den schilfumwachsenen Teich erreichen, hat ihr Rock so viel Wasser aufgesogen, dass er wie eine zweite Haut an ihr klebt. Sie stolpert auf dem Kies, der vom Regen rutschig ist, aber Grischenka hält ihren Arm so fest, dass sie nicht fallen kann. Seerosen scheinen den Teich überwuchern zu wollen, sollten ausgedünnt werden. Wieso muss sie den Gärtnern sagen, worauf sie eigentlich selbst achten sollten?
    Hier vom Garten aus sieht sie, dass die Fenster des Palasts wie

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