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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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herum, bis er das Gewünschte fand. Irrte ich mich, oder ließ er sich damit mehr Zeit als nötig? Er verstand nun: Es ging hier auch um seine Zukunft. Prokopowitsch faltete Peters schlaffe Finger um die Feder, von der die schwarze Tinte tropfte. Sie kratzte schwach über das Papier. Ich hörte seine Stimme: »Anna Petrowna. Bringt meine Annuschka zu mir, meine Älteste …«
    Der Wind heulte mit einem Mal auf und jagte um die Mauern des Winterpalastes. Hatten wir seine Worte wirklich gehört? Niemand tat etwas, um seinen Befehl zu verfolgen. Die Finger der lächerlich zierlichen Hände krampften sich mit einem Mal um das Papier. »Oh, mein Gott«, murmelte er, murmelte ich. Das Land hielt den Atem an. Seine letzten Worte sprachen wir gemeinsam. Ich schloß die Augen. Und öffnete sie wieder.
     
     
     
     
     
     
     
    Menschikow öffnet die Tür. Ich bete leise. Der Gang vor dem kleinen Studierzimmer ist voller Männer. Die Abgeordneten der Synode, des Senats und der Admiralität warten dort auf eine Nachricht aus dem Totenzimmer. Sie warten auf eine Entscheidung. Eine Nacht lang haben wir sie und ganz Rußland zum Narren gehalten. Ich halte mich an dem von Peter geschnitzten Lehnstuhl fest. Ich bereite mich vor auf die nasale Stimme des Prinzen Dolgoruki: Er wird im Namen des neuen Zaren Peter Alexejewitsch unsere Verhaftung verlesen.
    Im Raum aber wird es gleißend hell. Jeder der Männer des Geheimen Rates, die vor mir knien, hält einen mehrarmigen Kerzenleuchter in der Hand. Heinrich Johann Ostermann, Graf Peter Andrejewitsch Tolstoi, Pawel Jaguschinski, sie alle sind da. Menschikow dreht sich mit blutunterlaufenen Augen zu mir um. Nun sieht er doch aus wie der Lump, der er ist. Ehe er etwas sagen kann, stehe ich auf. Die Ikonen an meinem Kleid klirren wie ein Windspiel, und mein Schmuck funkelt im Licht der Kerzen.
    Meine Stimme klingt stark, als ich spreche: »Der große und gnädige Zar Peter der Erste von Rußland ist von Uns gegangen. Unser Herz ist zerrissen von Trauer, und Unser Geist ist vor Schmerz betäubt. Dennoch: Wir, Katharina Alexejewna, Kaiserin und Zarin von Rußland, sind uns der Verantwortung bewußt, die Gott auf Unsere Schultern legt.« Ich atme aus und hebe eine meiner Hände. »Wir schwören, Uns der von Gott verliehenen Gnade als Zarin gerecht zu erweisen. Wir werden alle Russen lieben, wie Unsere eigenen Kinder! Wir werden gerecht herrschen – und dabei vertrauen Wir auf Euren erfahrenen Rat.«
    Ich schweige, und es herrscht Stille. Ich sehe einem Mann nach dem anderen in die Augen. Ich sehe, daß sie verstehen. Sie können mit mir herrschen oder mit mir untergehen. Ich wußte es! Menschikow ist der erste, der sich faßt: »Heil Dir, Katharina, Herrscherin aller Russen! Heil Dir, der Zarin!« donnert er, und selbst die ersten Schneeflocken des Tages können die Kraft seiner Stimme nicht dämpfen. Der Rat und der Hof fallen in seinen Ruf ein. Der Lärm brandet um meinen schmerzlich klaren Sinn. Über dem Tor geht die Fahne mit dem Doppeladler der Zaren auf Halbmast. Hundertundein Schuß lösen sich aus den Kanonen der Peter-und-Pauls-Festung. Die Glocke der Kathedrale der Dreieinigkeit beginnt dumpf zu schlagen. Einen Wimpernschlag später fallen alle Glocken der Stadt in ihr Dröhnen ein: Der Zar ist tot. Lang lebe die Zarin!
    Nun ist auch Feofan Prokopowitsch bei uns. Er küßt meine Hand und zögert nicht, mir augenblicklich seine Treue zu schwören. Mein kum Apraxin entrollt den hastig verfaßten Ukas, der mich zur Zarin ausruft. Ich sehe, wie die Prinzen Repnin, Golizyn und Dolgoruki aufbegehren wollen. Sie sind nun gemeinsam mit dem kleinen Peter Alexjewitsch im Raum. Sie müssen ihn aus dem Schlaf gerissen haben, denn er blinzelt nur verwirrt in die vielen Kerzen. Sein Haar ist zerrauft und seine Füße nackt. Ich fühle keine Reue: Er ist noch so jung! Er hat noch so viel Zeit!
    Die Garde kommt in den Raum, staut sich im Gang und stellt sich die Treppen hinunter auf.
    Sie ruft aus vielen hundert Kehlen: »Heil Katharina! Heil der Zarin!«
    Ich erkenne die Gesichter ihrer Generäle wieder, ehe auch sie auf ihre Knie sinken. Unzählige Male saßen sie mir am Lagerfeuer gegenüber. Ich habe ihre Siege mit ihnen gefeiert und ihre Niederlagen mit ihnen beweint. Ich habe ihre Wunden nach Poltawa verbunden und ihnen in der Gluthitze der persischen Sonne dünne Suppe in ihre Schalen geschöpft. Ich bin immer für sie dagewesen, und sie wollen, daß es so bleibt.
     
    Peter ist tot.

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