Die Zauberer 01 - Die Zauberer
hatte Garnock in die Bedingungen der Prüfung eingewilligt. Welche andere Wahl hätte er auch gehabt, wenn nicht alle Mühen der vergangenen Monate vergeblich gewesen sein sollten?
Doch es war nicht nur sein pragmatischer Geist, der Granock dazu trieb, das Risiko einzugehen; in seinem Inneren hatte sich auch eine Menge Trotz aufgestaut, und er wollte es allen zeigen, die noch immer an ihm zweifelten. Er wollte sich endlich bewähren, nicht nur vor Aldur und vor dem Hohen Rat sondern auch vor Alannah ...
Immer wieder blickte er verstohlen zu der Elfin hinüber, während er heimlich dem Schicksal dafür dankte, dass es sie beide in einer Gruppe
zusammengeführt hatte. Alannah jedoch reagierte nicht darauf. Die meiste Zeit über hielt sie die Augen fest geschlossen, um sich zu konzentrieren und ihre inneren Kräfte zu sammeln, ebenso wie Caia und Aldur es taten, dessen abschätzige Blicke Granock auf diese Weise wenigstens erspart blieben. Am liebsten hätte Granock es ihnen gleichgetan, aber er konnte nicht; seine Unruhe war zu groß, und Meditation gehörte ohnehin nicht zu seinen Stärken, was vermutlich seinem menschlichen Erbe zuzuschreiben war. So blieb ihm nichts anderes übrig, als auszuharren und jeden einzelnen Augenblick der quälend langen Wartezeit bewusst mitzuerleben.
Was aus den anderen Prüfungsgruppen geworden war, wusste er nicht. Am frühen Morgen waren sie geweckt worden und gleich nach dem Frühstück, das nur aus etwas Wasser und Brot bestanden hatte, in kleine Gruppen aufgeteilt worden. Ob die anderen die Prüfung bereits hinter sich hatten, wer sie bestanden oder möglicherweise nicht überlebt hatte, entzog sich seiner Kenntnis, und diese Ungewissheit steigerte seine Anspannung noch. Als es endlich so weit war und die Tür der fensterlosen, von schwachem blauem Licht erfüllten Kammer geöffnet wurde, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Endlich war der Augenblick der Entscheidung gekommen. Der prayf begann. Die erste Überraschung erwartete die vier Novizen bereits, als sie die Kammer verließen - denn auf der anderen Seite der Tür befand sich nicht mehr der lange Korridor, durch den sie hereingekommen waren, sondern die Weite der yngaia.
Heulender, eiskalter Wind schlug den Novizen entgegen, als sie hinaustraten in die ewige Dämmerung des Nurwinters. Firn knirschte unter ihren Füßen, vor ihnen erstreckte sich die Weiße Wüste als schier endlose Fläche, aus der nur hin und wieder vereinzelte Eisnadeln ragten. Es schneite leicht, und die wirbelnden Flocken sorgten dafür, dass die Eiswüste und der anthrazitfarbene Himmel am Horizont zu einem grauen Band verschmolzen.
Es war ein unheimliches Bild, jedoch nicht halb so einschüchternd wie der Anblick des monströsen Wesens, das vor den Mauern der Ordensburg auf die Novizen zu warten schien. Es stand auf vier Beinen, von denen jedes so dick wie eine Säule war, und sein wuchtiger Körper war von zottigem weißem Fell bedeckt. Das massige Haupt der Kreatur war stark nach vorn gewölbt und hatte ein Maul mit mörderischen Raubtierzähnen. Allerdings machte das riesige Tier, das so hoch wie zwei und so lang wie vier Pferde war, keine Anstalten, die Novizen anzugreifen. Im Gegenteil: Ledernes, aufwendig gearbeitetes Zaumzeug war um sein Haupt gelegt, und auf seinen Rücken war ein großer Korb geschnallt, der der Aufnahme von Passagieren diente. Granock hatte von ihnen gehört - den böriai, den riesigen Eisbären, die die yngaia bevölkerten und den Elfen als Reittiere dienten. Zu Gesicht bekommen hatte er bis zu diesem Tag noch keinen von ihnen, entsprechend eingeschüchtert war er, was allerdings nicht lange anhielt.
»Steigt auf!«, forderte der Zauberer, der die Tür ihrer Wartekammer geöffnet hatte. Garnock hatte ihm bisher noch gar keine Beachtung geschenkt, zumal er hinter der Tür stand, die er aufgezogen hatte. Nun wandte Garnock den Kopf und sah ihn an: Es handelte sich um einen hageren, langbärtigen Magier, dem Granock noch nie zuvor begegnet war. Seine Gewänder und die langen Haare flatterten im Wind. »Eure Reise beginnt hier und jetzt.«
»Wohin wird sie uns führen?«, erkundigte sich Alannah.
Der Garnock unbekannte Zauberer hob den Arm und deutete zu einer besonders großen Eisnadel, die sich in einiger Entfernung gegen das Grau der Dämmerung abhob. »Dorthin«, erklärte er schlicht. »Die große Eisnadel zu erreichen ist eure Aufgabe. Wer auch immer von euch dieses Ziel erreicht, hat die Prüfung bestanden.«
»Das
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