Die zauberhafte Tierhandlung, Band 02: Lotte und die Drachenmagie (German Edition)

ihnen entstand ein verschwommenes Bild, das für die ganze Klasse sichtbar in der Luft hing. Ein Bild von Zara, aus den Gedanken gewoben, die Lotte nicht einmal hatte stehlen müssen, weil sie für jeden sichtbar in den Gesichtern ihrer Mitschüler standen, in ihren geballten Fäusten und den verängstigten, wütenden Blicken.
    Ein wahres Bild. Gemein. Manipulativ. Eine Lügnerin, die andere schikanierte und hinterging. Das Bild, das vor Lotte in der Luft hing, schien fast greifbar, als jeder in der Klasse ihm zustimmte und seinen Teil hinzufügte. Selbst Zara, als sie die Wahrheit erkannte und sich dafür hasste. Dieses Mal schmiegte sie sich wirklich schutzsuchend an Bethany, ihr Gesicht hatte jegliche Farbe verloren, und sie sah aus, als sei ihr schlecht. Aber Bethany wich vor ihr zurück und sah selbst ganz grün aus. Die Geister-Zara wirkte so echt, sogar Lotte war verblüfft. Und jetzt veränderte sich das Bild auf eine Weise, mit der sie nicht gerechnet hatte. Es bewegte sich. Es hatte ein Blatt Papier in der Hand und kauerte sich hin. Dann klebte es die Wörterliste unter Lottes Tisch.
    »Das war ich nicht … «, murmelte Lotte halb bei sich und halb zu Ruby. »Ich hatte keine Ahnung, dass es uns Dinge zeigen würde … «
    »Guck mal Zara an«, flüsterte Ruby zurück. »Die echte, meine ich.«
    Lotte sah zu ihr hinüber und schluckte. Zara hatte noch nie weniger hübsch ausgesehen. Sie schien geschrumpft zu sein und hielt die Hand vor den Mund gepresst, als kämpfe sie dagegen an, sich übergeben zu müssen. Während sie sie ansah, wurde Lotte plötzlich klar, was mit ihrem Zauber geschah. Zara änderte ihn, Zara und ihre Freundinnen. Sie hatten solche Angst, dass sie nicht anders konnten, als sich an alles Schlechte zu erinnern, das sie verbrochen hatten. Ihre Gemeinheiten sickerten in das magische Bild und zwangen es, allen die Wahrheit zu zeigen. Und sie konnten nicht damit aufhören. »Man erntet, was man sät«, murmelte Lotte. »Es holt sie ein. Genau wie die böse Magie uns eingeholt hat … «
    Lotte warf einen raschen Blick in die Runde. »Das reicht«, sagte sie leise. Alle wussten jetzt Bescheid, und einige hatten Angst, und sie wollte Zara schließlich nicht foltern … jedenfalls nicht zu sehr.
    Lotte streckte die Hand aus, schnappte die Zauber-Zara aus der Luft und faltete sie zu nichts zusammen, so als würde sie ein Blatt Papier zusammenknüllen. Es fühlte sich weich und federleicht an und schlüpfrig wie Klatsch. Aber Lotte hielt es fest und spürte, wie es zwischen ihren Fingern zerbröselte. Sie blies die Fetzen von ihren Händen zu den Leuten zurück, die ihr ihre Gedanken anvertraut hatten.
    Mrs Laurence holte erschrocken Luft, dann schüttelte sie sich, als sei sie nicht sicher, was sie soeben gesehen hatte. »Zara!«, sagte sie entsetzt, und alle schienen aufzuwachen. Sie sahen einander verwirrt an. Was war passiert? Irgendetwas Seltsames … Zara war gemein zu jemandem gewesen … zu dem neuen Mädchen. Aber Lotte hatte sich gewehrt, oder?
    Lotte ließ sich erschöpft auf ihrem Stuhl zurücksinken. Sie hatte eine Menge Zauberkraft gebraucht, um ein Bild aus den Gedanken zu knüpfen, und die ungeheure Garstigkeit von Zara hatte ihr starke Kopfschmerzen beschert. Aber trotzdem lächelte sie, weil sie glücklich war wie nie seit ihrem ersten Tag an der Netherbridge-Hill-Schule. Sie bemerkte ein paar andere schüchtern lächelnde Gesichter von Mädchen, die aus Angst vor Zara bisher nicht gewagt hatten, mit ihr zu reden.
    Mrs Laurence stützte sich mit einer Hand am Pult ab, als bräuchte sie einen Halt, und murmelte: »Zara. Ja.« Sie sah ihre Lieblingsschülerin an, während sie sich fragte, wo diese merkwürdigen Erinnerungen in ihrem Kopf herrührten und was sie zu bedeuten hatten. »Zara, geh bitte ins Sekretariat und sag ihnen, sie sollen deine Mutter anrufen. Du musst nach Hause gehen. Du siehst fürchterlich aus.«
    Alle in der Klasse starrten Zara hinterher, als sie zur Tür hinausschlich. Niemand war sicher, was gerade passiert war. Zara war krank. Ja, das musste es sein. Sie ging nach Hause. Sie schrieben einen Buchstabiertest.
    Mrs Laurence musterte mit gerunzelter Stirn die Wörterliste in ihrer Hand. Komischerweise waren es zwei Kopien. »Waren wir schon bei Rhythmus angelangt? Überlegt alle genau, wie viele H wir brauchen.«
    Lotte schrieb das Wort mit zitternder Hand zu Ende. Dann warf sie Ruby ein Lächeln zu. Sie hatte das Gefühl, dass diese noch genau wusste, was