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Die Zauberlehrlinge

Die Zauberlehrlinge

Titel: Die Zauberlehrlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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würde.

18. Kapitel
    Der Freitag war kalt und grau. Harry wanderte durch die winterlichen Straßen Kopenhagens und versuchte, nicht an die tollkühne Mission zu denken, die er übernommen hatte. Das gelang ihm auch, allerdings um den Preis, dass er sich nagenden, trostlosen Erinnerungen ausgesetzt sah.
    Lindos, August 1988. Der Strand war ebenso überfüllt wie die Stadt. Die sengende Sonne knallte wie mit Hämmern auf die weißen Dächer. Alle Bars, alle Läden wimmelten von Leuten. Lärm, Hitze, zu viel menschliches Gedränge. Harry in der Taverna Silenou war mehr als nur ein bisschen betrunken. Kostas war so klug gewesen, ihn nach Hause zu schicken, damit er seinen Rausch ausschlief; fehlende Kellner waren besser als betrunkene. Grollend hatte Harry sich verabschieden wollen, war dann aber in ein flirtendes Gespräch mit einem dänischen Mädchen geraten. Um was es ging, wusste er nicht mehr. Er erinnerte sich auch nicht an den genauen Ablauf der folgenden Ereignisse. Vielleicht war er über ein Stuhlbein gestolpert, vielleicht hatte auch jemand absichtlich ein Bein ausgestreckt. Wie auch immer, im Fallen hatte er mit der Hand nach der lose zugeknöpften Bluse des Mädchens gegriffen und sie dabei aufgerissen. Er hatte bereits bemerkt, dass sie keinen Büstenhalter trug, jetzt sahen es auch alle anderen. Die Szene selbst - wegspringende Blusenknöpfe, hüpfende Brüste, dänisches Kreischen, starrende Gesichter, Arme, die ihn festhielten - lag in gnädigem Nebel. Erst am folgenden Tag hatte Kostas ihm erzählt, das Mädchen habe ernsthaft gedroht, ihn wegen sexueller Belästigung anzuzeigen; offenbar hatten ihre Begleiter ihr das ausgeredet.
    Ach ja, ihre Begleiter. An ihrem Tisch hatten zwei Männer gesessen. Daran konnte Harry sich noch erinnern. Doch wie sie im einzelnen ausgesehen hatten, wusste er nicht mehr. Vor seinem inneren Auge waren sie so verschwommen, wie in Fernsehinterviews Spione und Superspitzel gezeigt werden, damit man sie nicht erkennt. Natürlich wusste er, wer sie waren, er hatte sie ja beide inzwischen wiedergesehen. Trotzdem hätte er sich gern ein deutliches Bild von ihnen an diesem Tag gemacht. Jedenfalls von einem der beiden. Von dem, den er jetzt nur noch als reglose Gestalt in einem Krankenhausbett vor sich sah. Von dem Sohn, mit dem er zusammengetroffen war und vermutlich gesprochen hatte, ohne es zu merken. Der gesehen hatte, wie er sich mit rotem Gesicht und seiner Sinne kaum mächtig an den Stamm eines Feigenbaums geklammert und eine Entschuldigung gestammelt hatte. Der ihn gemustert und verurteilt hatte und seiner Wege gegangen war, ohne sich zu erkennen zu geben.
    Drei Monate später hatte Harry im Schatten einer sehr viel ernsteren Anschuldigung und Unschuldsbeteuerungen seinerseits, die ihm wieder nicht geglaubt wurden, Rhodos verlassen und war niemals zurückgekehrt. Die Erinnerung jedoch kannte keine Schranken, ihren Reisen konnte man nicht entgehen. Und so kehrte er im Laufe dieses Tages in Kopenhagen mit grausamer Regelmäßigkeit immer wieder in die Taverna Silenou und auch in Iris Vennings Bett zurück.
    Im vollbesetzten Palads-Kino sahen einige hundert dänische Teenager und Harry die Nachtvorstellung von Natural Born Killers. Harry empfand eine perverse Dankbarkeit, weil ihm dieses Schwelgen in sinnloser Gewalt Übelkeit verursachte. Das lenkte ihn wenigstens von der ängstlichen Spannung vor seiner Verabredung um ein Uhr morgens in Knippelsbro ab.
    Er wanderte durch den Stroget, zwang sich in einer Bar, Kaffee zu trinken, und machte sich dann auf den Weg zum Hafen. Es war ein paar Minuten vor eins, als er den Fuß der Treppe erreichte, die auf die Brücke führte, aber er kam besser zu früh als zu spät. Er schaute zum Brückengeländer hinauf und glaubte eine Gestalt zu sehen, die sich anlehnte und auf ihn niedersah. Es war zu dunkel, um zu erkennen, ob es Hammelgaard war. Vorsichtig hob er die Hand, und die Gestalt wich sofort zurück und war nicht mehr zu sehen. Aus unerklärlichen Gründen war Harry plötzlich zutiefst beunruhigt und rannte die Treppe hinauf, zwei Stufen auf einmal nehmend. Oben musste er innehalten, um wieder zu Atem zu kommen, doch er war schnell genug gewesen, um sicher zu erwarten, die Gestalt noch zu sehen, wer sie auch sein und in Welche Richtung sie auch gegangen sein mochte. Doch auf der Brücke war niemand. Niemand näherte oder entfernte sich. Überhaupt niemand.
    Harry zitterte, als er nach einer Zigarette suchte. Er verfluchte seine

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