Die Zauberlehrlinge
Nerven, steckte sich eine Karelia Sertika zwischen die Lippen und riss ein Streichholz an, um plötzlich von der fast an visuelle Sicherheit grenzenden Überzeugung gepackt zu werden, jemand stehe neben ihm. Er wirbelte herum, doch da war nichts. Das Streichholz erlosch, die Schachtel glitt ihm aus den Fingern. Er versuchte sie aufzufangen, stieß sich aber nur den Daumen am Geländer. Die Schachtel fiel hinab und verschwand. Sekunden später hörte er sie ins Wasser fallen. »Vielen Dank«, murmelte er. »Das hat mir grade noch gefehlt.« Gereizt riss er sich die Zigarette aus dem Mund und warf sie hinter den Streichhölzern her, bereute es aber sofort. Sicher würde Hammelgaard Feuer haben.
Aber wo war Hammelgaard? Inzwischen war es bestimmt ein Uhr. Wie auf ein Stichwort schlug eine ferne Kirchenglocke die Stunde. Harry fröstelte und beschloss, in die Mitte der Brücke zu gehen, weil er hoffte, Hammelgaard von der anderen Seite kommen zu sehen. Seine Schritte hallten laut durch die stille Nachtluft. Die Wolke, die sein Atem bildete, ließ ihn sehnsüchtig an Zigarettenrauch denken. Sein Daumen begann zu pochen.
Dann sah er eine zusammengesunkene Gestalt am Christianshavn-Ende der Brücke liegen. Er begann zu rennen. Es war ein Mann, schwarz gekleidet, der mit dem Gesicht nach unten dicht am Geländer lag. Seine Mütze hatte er verloren, und man sah den hellen, kahlen Oberkopf, doch der Mantelkragen war hochgeschlagen und verbarg sein Gesicht. Harry beugte sich über ihn. Es bestand noch immer die Chance, dass es ein Fremder war, eine geringe, geisterhaft verblassende Chance. Harry streckte die Hand aus, fasste nach dem Kragen, zog ihn zurück - es war Torben Hammelgaard.
Seine Augen waren leblos, sein Mund stand offen, doch kein Atemwölkchen trübte die Luft. Es gab keine Blutlache, kein Anzeichen von Gewalt. Nur die blicklosen Augen und die gekrümmten Glieder erzählten ihre Geschichte. Noch bevor Harry am Handgelenk nach seinem Puls tasten oder ihn umdrehen und das Herz abhorchen konnte, wusste er, was er feststellen würde. Torben Hammelgaard war tot.
19. Kapitel
Angst verleiht Flügel. Harry rannte weiter und schneller vor diesem unbeachteten Leichnam auf der Brücke davon, als er je in seinem Leben gelaufen war. Er rannte, bis seine Brust schmerzte und er nicht mehr konnte, bis er in irgendeine dunkle Toreinfahrt in Christianshavn taumelte, zwischen Wurstzipfeln und Hamburgerschachteln zu Boden sank und jeden Augenblick damit rechnete, dass der Schatten seiner Verfolger über ihn fiel.
Es gab bestimmt Verfolger. Wieder hatten sie auf ihre einzigartige, nicht zu entdeckende Weise gemordet. Sie hatten den Mann getötet, zu dem Harry sie geführt hatte. Nun musste er an der Reihe sein. Jeden Moment mussten sie kommen, aus irgendeiner Richtung.
Aber sie kamen nicht. Als die Minuten vergingen und Harry sich langsam erholte, keimte in ihm die Hoffnung auf, ihnen irgendwie entkommen zu sein. Mühsam stand er auf und spähte aus der Einfahrt. Nirgends rührte sich etwas. Nichts wartete darauf, dass er auftauchte.
Er machte sich wieder auf den Weg; doch diesmal rannte er nicht, sondern ging mit schnellen Schritten, schaute zur Seite und nach hinten, hielt sich im Schatten und bog in die nächstbeste Straße ein. Er hatte ein starkes Verlangen nach einem Drink und einer Zigarette. Was er dringender wollte, wusste er nicht genau, aber das spielte auch keine Rolle, da seine Chancen, eines von beiden zu bekommen, im Moment gering waren.
Was sollte er tun? Wohin sollte er gehen? Wie sollte er bewältigen, was passiert war? Die Notwendigkeit einer Entscheidung kämpfte in seinem Inneren mit der Unmöglichkeit, eine zu treffen. Hammelgaard war tot. Harry hatte eine Botschaft von ihm auszurichten, wusste aber nicht, wie er das machen sollte. Und er befand sich in Lebensgefahr. Oder? Vielleicht hatten sie Hammelgaard schon eine Weile verfolgt. Vielleicht war es nur ein Zufall, dass sie zugeschlagen hatten, als er sich gerade mit Harry treffen wollte. Aber er konnte das Risiko nicht eingehen. Er konnte es sich nicht leisten, irgendetwas zu vermuten. Er sollte so schnell wie möglich aus Kopenhagen abreisen. Aber wohin? Und wie? Flughafen und Bahnhof waren leicht zu überwachen, und sein Pass lag noch immer in seinem Zimmer im Kong Knud. Auch das Hotel konnte überwacht werden.
Doch Flucht war die einzig vernünftige Entscheidung. Bis zum Morgen würde man Hammelgaards Leiche finden. Wenn er irgendwelche Papiere bei
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