Die Zauberlehrlinge
vereinbart.«
»Ja, aber...« Sie wussten es nicht, das war offenkundig. Und ebenso offenkundig war, dass Harry es ihnen würde sagen müssen. Aber würden sie ihm glauben? Jemand hatte Torben Hammelgaard ermordet. Und es bestand durchaus die Möglichkeit, dass seine Freunde argwöhnen würden, dieser Jemand sei Harry. »Sie müssen wissen, ich... ich bin zu der Verabredung gegangen wie vereinbart, aber...«
»Aber was?«
»Ich fand Torben auf der Brücke. Knippelsbro. Er war... tot.«
»Hvad?«
»Torben ist tot! Die haben ihn umgebracht!«
»Wie das?« Jensens Ton verriet Schock, aber keine große Überraschung. Er war bestürzt, aber er glaubte Harry.
»Ich weiß nicht. Man sah ihm nichts an. Keine Kampfspuren, nichts.«
»Das ist nicht möglich! Torben hätte es ihnen nicht so leicht gemacht!«
»Ich kann nur sagen, was ich gesehen habe.«
Halb zur Rückenlehne gedreht ließ Jensen das Kinn auf die Schulter sinken. Sie fuhren jetzt schnell durch leere Wohnstraßen, und immer wieder fiel das Licht von Straßenlaternen auf Jensens Gesicht. Harry glaubte, einen Schimmer von Tränen in seinen Augen zu sehen.
»Als ich wegging, war die Polizei da. Glauben Sie, dass sie ihn identifizieren kann? Ich meine, sollten Sie... oder sonst jemand... sich bei der Polizei melden?«
»Maske. Maske. Aber wir müssen sehr vorsichtig sein. Haben Sie Polizei auf der Brücke gesehen?«
» Ja. «
»Haben die Polizisten Sie gesehen?«
»Nein.«
»Sind Sie sicher?«
»Keiner hat mich gesehen.«
»Es sei denn, es war da jemand, den Sie nicht gesehen haben.«
»Nun, ich...«
»Wie Torben. Er hatte sich gut versteckt, aber sie haben ihn geschnappt und umgebracht. Ohne Kampf. Wer sind diese Leute?«
»Ich bin nicht sicher. Torben dachte...«
»Nej.« Jensen machte plötzlich eine Schlagbewegung mit der Hand. »Er hat die Wahrheit gesagt: Wissen tötet. Er sagte mir, ich solle mich raushalten. Ich solle Ihnen helfen, mich aber raushalten. Ich werde mein Versprechen halten, das reicht. Den Rest...«, er schüttelte den Kopf, »den Rest will ich nicht wissen.«
»Ich muss mit ein paar Freunden von ihm in Amerika Kontakt aufnehmen.«
»Ja, ja. Amerika.« Jensen seufzte. »Sie haben Glück. Torben und ich sind zusammen aufgewachsen. Dann gingen wir verschiedene Wege. Aber ein Freund ist ein Freund. Sie wollen das Universum verstehen wie Torben? Ich kann Ihnen nicht helfen. Sie wollen unauffällig und mit neuer Identität das Land verlassen? Das ist eine andere Geschichte. Solche Sachen mache ich. Ich arrangiere sie, normalerweise für viel Geld. Aber dies hier ist gratis. Sie sind ein Kaninchen unter lauter Füchsen, aber ich denke, wir kriegen Sie durch.«
»Wie?«
»Wir fahren jetzt zuerst zu mir nach Hause. Da erwartet uns ein Mann. Er macht Fotos. Manchmal heftet er sie in Pässe. Also werden Sie jetzt Ihren Namen ändern. Suchen Sie sich einen aus, der Ihnen gefällt. Dann bekommen Sie ein Frühstück, und ich bringe Sie auf den Weg.«
»Auf den Weg wohin?«
»Schweden. Erste Reiseregel: Fahren Sie niemals sofort in die Richtung, die Sie einschlagen wollen.«
Sie erreichten Jensens Haus etwa zwanzig Minuten später. Es machte den Eindruck von wohlhabender vorstädtischer Geräumigkeit, aber es war noch dunkel, und es gab nicht viel Verkehr. Ob sie sich nördlich, westlich oder südlich vom Zentrum befanden, wusste Harry nicht. Sie fuhren geradewegs in eine große Garage, parkten zwischen einem Porsche und einer Art Geländewagen und betraten das Haus durch eine Verbindungstür. Harry erspähte Zeichen häuslicher Normalität - ein Kind, ein Dienstmädchen, eine riesige, mit Kiefernholz getäfelte Küche, eine geräumige, luftige Eingangsdiele - und wurde dann in einen hell erleuchteten Keller geführt. Dort notierte sich ein zierlicher, kahler Mann mit Schnurrbart, der das gesetzte Gehabe eines kleinen Regierungsbeamten hatte, einige Details aus seinem Pass und schrieb sorgfältig den von Harry gewählten Namen auf: Norman John Page. Er setzte Harry vor eine Leinwand, machte ein paar Fotos und sagte ihm dann, er solle oben warten.
In einer Art Vorraum zur Küche saß der Fahrer, trank Kaffee und aß ein Croissant. Mit einem Nicken verwies er Harry an Jensen, der am Küchenfenster stand, in der einen Hand einen Telefonhörer, in der anderen einen Kaffeebecher. Harry studierte sein Spiegelbild im Fenster, während Jensen telefonierte. Selbst nach den Maßstäben von Automatenfotos für Pässe würde Norman Page für
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