Die Zauberschatten - Goryydon #2 (German Edition)
die sie zu deuten versuchte.
Sie wusste, Trolle waren beeinflussbar, nicht sonderlich intelligent, aber bärenstark und misstrauisch. Die Wesen erwiesen sich als gefährlich, wenn man sie in die Enge trieb. Dieser hier kämpfte gegen Furcht und Pein und Wut. Juliane erahnte eine gewisse Neugier, doch sie wagte nicht, abzuschätzen, wie stark diese sein mochte.
»Das Biest wird dich in Stücke reißen«, wollte Aran sie von ihrem Vorhaben abhalten.
»Ich fühle seine Furcht und seinen Schmerz. Er will niemandem etwas tun«, behauptete sie, obwohl sie nur zu genau die Aggressivität des Trolls spürte. Ob dies dem Schmerz oder seinem Charakter geschuldet war, konnte sie nicht ermessen.
»Die Toten und ihre Angehörigen würden anders darüber urteilen.«
Der Troll fletschte die Zähne und fauchte Aran an. Er schien zu spüren, dass Aran ihm weder Sympathien und Mitgefühl entgegenbrachte.
»Hast du Verbandsmaterial in deinen Satteltaschen?«, fragte Juliane ungerührt.
Aran ging zum Pferd, ohne seinen Blick und seine Konzentration von dem Troll abzuwenden. Kurz darauf reichte er ihr mit langsamen Bewegungen das Linnen, um die Kreatur nicht zu provozieren.
Sie hielt es dem Wesen hin. »Ich will dir nichts tun. Lass mich deine Wunde verbinden«, bat sie sanft.
Der Troll legte seinen Kopf schief und stieß heisere Laute aus. Er verströmte einen erdigen Modergeruch, der ihr in die Nase stieg, als sie sich ihm näherte. Sie nahm den ausgestreckten Arm und untersuchte vorsichtig die Verletzung. Die Wunde hatte heftig geblutet und erwies sich somit als sauber. Verkrustete Blutklumpen verklebten das Fell rundherum. Gern hätte Juliane das beseitigt, doch sie bezweifelte, dass der Troll dafür Geduld und Zutrauen aufbringen würde. Sie verband den Arm zügig.
»Fertig«, verkündete sie und blickte die Kreatur an.
Der Troll fasste nach ihrer Hand.
Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Aran einen Satz nach vorn machte.
Der Troll fauchte ihn an.
Bleib zurück, Aran! Er will mir nichts antun!
Sie hoffte, seine Gedanken zu erreichen, denn sie wagte nicht, ihren Blick vom Troll abzuwenden, und sie wusste nicht, ob die telepathische Verbindung zwischen ihr und Aran von Augen- oder Körperkontakt abhängig war.
Wie du willst! Er wirkte unwillig, wich aber einen Schritt zurück.
Sie bezweifelte nicht, dass er dennoch in Sekundenschnelle zur Stelle wäre, um sie zu beschützen.
Der Troll hob ihre Hand mit festem Griff an seine Schnauze. Vermutlich ließ das Wesen dabei so viel Sanftheit walten, wie ihm möglich war.
Er schnüffelte an ihrer Hand wie ein Hund, dann schleckte er mit erstaunlich weicher Zunge über ihre Haut. Er ließ sie los und warf ihr einen starren Blick zu, ehe er im Gebüsch verschwand.
Aran stürzte vor. Sie hielt ihn fest, damit er dem Troll nicht nachsetzte.
»Immer noch dieselbe«, sagte er Augen rollend.
»Immer noch derselbe«, erwiderte Juliane lächelnd.
Er musterte sie mit blitzenden Augen. »Du bist unglaublich. Selbst die mutigsten Männer hätten Angst gehabt.«
Sie schluckte. Ihre Körper berührten sich beinahe. Sie wollte nicht an Tod und Gefahr denken, nicht jetzt, wo er ihr so nah war. So warm, so lebendig. Sie seufzte und umarmte ihn.
Kribbelnde Hitze breitete sich in ihrem Körper aus und wanderte in ihren Kopf. Ihre Glieder schienen sich in Gelee zu verwandeln. Sie sank gegen Arans muskulösen Körper. Eine Strähne seines Haars kitzelte ihre Wange. Seine Oberschenkel lehnten an ihren.
»Ich weiß«, flüsterte er und senkte seine Lippen auf ihre. Sein Atem strich über ihr Kinn.
Sie blinzelte erwartungsvoll.
Arans Zunge teilte ihre Lippen. Seine Wärme kroch in sie und die Silberschnur summte in ihrem Blut, ließ sie seine Empfindungen fühlen, als wären es ihre eigenen. Hitze wallte durch seinen Körper und mischte sich mit dem aufgeregten Flattern in Julianes Magen. Begehren stieg in ihnen auf, tobte heiß und fordernd durch ihr Innerstes.
Sie keuchte überwältigt und Aran löste sich rasch von ihr. »Nicht jetzt«, murmelte er. »Nicht hier.« Seine Lippen glitten zu ihrem Ohrläppchen und küssten die weiche Haut darunter ein letztes Mal, ehe sie zur Königsburg zurückkehrten.
Einander verbundene Seelen sehnen sich
nicht nur nach Umarmung,
sondern auch danach, so zu sein wie die andere …
Sir Thomas Browne
Kapitel 3
Glück
»W illst du mit den anderen im großen Saal essen oder in meinen Privatgemächern?«, fragte Aran, während
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