Die Zauberschatten - Goryydon #2 (German Edition)
und dies ist die Drachentochter Juliane.«
Ein wütender Aufschrei erklang über ihnen und aus der Baumkrone stürzte etwas Schweres mit der Beweglichkeit eines Kartoffelsacks auf Juliane.
Aran reagierte blitzschnell, drängte ihr Pferd ab und fing einen wild zappelnden, rothaarigen Jungen auf. Er drückte das Kind an sich, und obwohl er viel stärker war, kostete es ihn Mühe, den zornigen Jungen zu bändigen.
»Mörderin! Deinetwegen ist meine Familie gestorben!« Die blauen Augen des Kindes funkelten sie hasserfüllt an.
Schockiert warf sie Aran einen Blick zu.
Lass mich das machen, ich weiß, was der Junge empfindet.
Aran hielt ihn fest, doch es war eine beschützende, tröstende Geste, die in Juliane Wärme hervorrief.
Als Aran zehn Sommer gezählt hatte, kaum älter als der Knabe in seinen Armen, metzelten Todesreiter seine Familie aus dem einzigen Grund nieder, weil sie eine gemischte Familie gewesen waren.
Sie stieg aus dem Sattel und wandte sich an Morlick.
»Bitte bring mich in euer Dorf.«
Sie wartete, bis sie außer Hörweite waren. Die Schritte Morlicks schleppten sich langsam durch das Unterholz. Jede Bewegung kostete den Mann sichtlich Mühe.
»Wie heißt der Junge?«, erkundigte sich Juliane mit der Hoffnung, Morlick ein wenig abzulenken. Seine offensichtliche Schwermut drückte ihn wie Blei nieder. Er verströmte dieses Gefühl so intensiv, dass es Juliane mit Melancholie erfüllte.
»Reas«, murmelte der Bauer. »Seine Eltern und all seine Brüder sind tot.«
Das Mitgefühl bohrte sich wie ein Messer in ihre Brust. »Sind Mitglieder deiner Familie bei dem Angriff zu Tode gekommen?« Die Frage benötigte keine Antwort. Morlick verbreitete jene Aura, die Menschen zu eigen war, die alles verloren hatten, was ihnen lieb und teuer gewesen war.
»Ausgelöscht, alle ausgelöscht. Marah, mein Weib starb als Erstes, dann haben die Graugnome meinen Vater zerrissen.« Morlicks Stimme klang gebrochen.
Das Stechen in Julianes Brust verstärkte sich.
Von hinten erklang ein Schluchzen, das immer wieder stockte und in diesen Momenten vernahm sie Arans leise Stimme. Tränen der Anteilnahme versuchten sich Bahn zu brechen, doch sie drängte sie erfolgreich zurück. Die Zeit der Trauer kam später.
Unter ihren Füßen knackte Reisig. Der Wald lichtete sich und gab den Blick auf ein verwüstetes Dorf frei.
Auf dem Anger brannte ein Feuer. Ein rothaariger Hüne warf Möbeltrümmer hinein und trottete in eine der Hütten. Durch ein Fenster erkannte Juliane ein hageres Mütterchen, das den Boden fegte.
»Sind Soldaten im Dorf?« Sie blickte sich forschend um.
Morlick schreckte auf. »Soldaten?« Er sah zu allen Seiten. »O ja, tapfere Männer. Wenn sie früher gekommen wären, ja, dann …« Er seufzte und deutete mit der Hand die Richtung. »Da hinten.«
Das Dorf wirkte friedlich. Es verbreitete einen völlig normalen Eindruck, wie viele andere Ortschaften auch, wären da nicht die frischen Erdhügel am Dorfrand gewesen. Julianes Zehen schienen eiskalt und kribbelten unangenehm, als sie den Dorfplatz überquerte.
Die Soldaten lagerten neben einem Hühnergatter, dessen Bewohner, in eine Ecke des morastigen Geheges gedrängt, gackerten und ob der Eindringlinge empört durcheinanderflatterten. Auf dem Bretterzaun thronte über ihnen ein Hahn, dessen Kopf nervös hin und her ruckte. Die Männer hatten ihre Pferde im Schatten der ärmlichen Behausungen festgebunden. Einige Satteltaschen lagen herum. Zwei Soldaten streckten sich flach auf der Erde aus. Der eine beeinträchtigt durch eine Kopfverletzung, wie ein Kopfverband und der glasige Blick verrieten, der zweite Mann war mit demselben Schmuck um seine nackte Brust versehen. Getrocknete Blutrinnsale zierten seinen Bauch. Auch die anderen Soldaten hatten das Aufeinandertreffen mit den nächtlichen Angreifern nicht ohne Blessuren überstanden. Jeder der königlichen Streiter trug Verwundungen zur Schau. Blaue Flecken, Beulen, Platzwunden, Schnittverletzungen, doch glücklicherweise nichts Ernsteres.
Nach und nach bemerkten die Soldaten Juliane und grüßten sie mit deutlichem Misstrauen.
»Seid gegrüßt. Ich bin Juliane, vielleicht habt ihr von mir gehört. Man nennt mich die Drachentochter.«
Der mit dem Kopfverband nickte. »Erkenne Euch wieder, Herrin Juliane. Habt tapfer gekämpft, wie man hört«, krächzte er.
Sie griff nach einer der Feldflaschen und ließ sich neben ihm nieder.
»Entspann dich.« Sie stützte ihn und gab ihm zu trinken.
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