Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
Parfüm-Werbespots mit Elizabeth Taylor, die den Eindruck erwecken, als hätte der Kameramann einen Gazeschleier vor die Linse gehängt.
Jetzt kommen die Klamotten ins Spiel. Ich habe ja bereits erwähnt, wie erleichtert ich war, weil ich noch die Kleider vom Vortag trug und keinen schäbigen Jogginganzug. Wenn man in den Himmel eincheckt, hat man nämlich genau die Kleider an, die man zum Zeitpunkt seines Ablebens trug. Angeblich kann ich mich umziehen, sobald man mir ein Dach über dem Kopf zugeteilt hat (ich kann nur hoffen, es gibt hier anständige Kleider!), aber bis dahin muss ich anbehalten, was ich trug, als ich starb. Es laufen ziemlich viele Leute in Krankenhauskitteln herum, einige auch nackt, aber die meisten sind angezogen. Übrigens sieht niemand krank oder verletzt aus. Kein Blut. Nicht einmal ein Kratzer. Ich war überzeugt, dass ich mit blauen Flecken übersät sein würde – ich könnte schwören, dass ich mindestens einen halben Häuserblock mitgeschleift wurde, ehe ich den Geist aufgab. Doch siehe da: kein Blut, keine Schürfwunden, keine Prellungen. Muss damit zu tun haben, dass ich jetzt kein Wesen aus Fleisch und Blut mehr bin, sondern ein Geist, aber ganz durchschaut habe ich das alles noch nicht.
Bei meiner Ankunft hier stand ich sofort in einer Warteschlange. Ich musste nicht erst hingehen und mich anstellen – ich erwachte (obwohl ich ja gar nicht geschlafen hatte) und befand mich bereits in der Schlange. Erst war da wie gesagt das weiße Licht, und dann plötzlich – puff – die Schlange. Das Himmelstor ist ein riesiger weißer Fleck. Ich schwebe auch nicht, sondern ich gehe, und zwar auf Wolken, und ich kann meilenweit sehen. Es scheint eine Art Schwerkraft zu geben, so seltsam das klingen mag. Keine Ahnung, wie das funktioniert. Es hieß, ich könne schon bald mein neues Heim beziehen, aber erst müsse ich einchecken. Ich stelle mir meine Unterkunft wie ein Zimmer in einem Ian-Schrager-Hotel vor – modern und blitzsauber, weiße Wände, ein riesiges weiches Bett und eine Stereoanlage von Bose. Ich werde berichten. Doch nun zurück zur Warteschlange.
Normalerweise hasse ich es ja, irgendwo anstehen zu müssen. Die Schlange war schrecklich lang, länger als bei der KFZ-Zulassungsstelle an einem hektischen Tag. Vor mir warteten mindestens zehntausend Leute, was mich sonst bestimmt ziemlich genervt hätte, aber da ich keine Ahnung hatte, warum ich überhaupt in der Schlange stand, flippte ich deswegen nicht gleich aus. Wie gesagt, man nimmt alles sehr gelassen hier oben. Außerdem wurde uns das Warten von einigen Engeln versüßt (ganz recht, von Engeln mit Flügeln; ja, die gibt es wirklich), die auf und ab gingen und uns Häppchen reichten: Kanapees mit Kaviar, Würstchen im Schlafrock, gebackenen Mozzarella, Hühnchenspieße, Chips und Dippsaucen, Crudités, Bruschetta, Krabbencocktail und so weiter und so fort. Ich hielt mich zurück – ich wusste ja nicht, was sie als Nächstes bringen würden, und meine Großmutter sagte immer: »Spar dir noch Hunger für die Hauptspeise auf.« Es wurden auch Getränke serviert: Champagner, einige härtere Sachen, Cocktails, Wein, Limo, Fruchtsäfte, Tee, Kaffee … Das Angebot ließ keine Wünsche offen. Ich entschied mich für den Schampus, der wunderbar lieblich und herb zugleich schmeckte. Ich trank fünf Gläser.
Es gibt übrigens noch einen weiteren Grund, warum ich froh war, dass ich keinen ausgeleierten Jogginganzug anhatte. Wenn man wie ich mit knapp dreißig in den Himmel kommt und noch Single ist, dann wünscht man (besser gesagt, frau) sich wohl nichts sehnlicher als einen attraktiven Mann an seiner Seite. Wie es der Zufall wollte, befand sich keine fünfzehn Leute hinter mir ein absolut umwerfender Typ. Mit den Leuten, die vor und hinter mir standen, kam ich rasch ins Gespräch, wie das häufig der Fall ist, wenn man längere Zeit in einer Schlange steht. Ich lernte zwölf Schulkinder aus Deutschland kennen, die bei einem Busunglück umgekommen waren und sich die Wartezeit mit Peaches vertrieben. Und Harry und Elaine Braunstein aus Long Island, die immer in Boca Raton überwintert hatten. Die beiden waren im Schlaf gestorben. Gasvergiftung. Elaine hatte den Herd nicht richtig abgedreht. Jean-Pierre aus Frankreich war seinem Prostatakrebs erlegen, und Mrs. O’Malley aus Irland war eine Unebenheit im Bürgersteig zum Verhängnis geworden – wenn man mit hundertvier Jahren stürzt und sich die Hüfte bricht, sind Komplikationen ja
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