Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
Hölle?“
Einen Augenbick lang war es vollkommen still.
„Was willst du von mir?“, zischte der Geist böse zurück.
Michael hielt irritiert inne. „Keine Ahnung… ich schätze… ich… ich weiß auch nicht.“
Jonathan lachte meckernd.
„Du sitzt selbst in einer Hölle fest!“, stellte er gehässig fest. „Du bist hier, weil es dir leichter fällt mit deinem eigenen Schmerz umzugehen, wenn du das Leid eines anderen siehst.“
Michael zögerte. „Da hast du wohl recht“, gab er schließlich zu.
„Hä hä hä. Die Hölle eines Toten unterscheidet sich nur wenig von der eines Lebenden. Eigentlich nur in dem einen Detail, dass ihr Lebenden noch etwas ändern könnt. Ich selbst kann gar nichts mehr tun.“
„Was soll ich denn gegen die Hölle tun, in der ich lebe?“, fragte Michael bitter zurück. „Wenn ich etwas ändern könnte, wäre ich jetzt nicht hier.“
„Ich weiß nicht, worin deine Hölle besteht. Aber bei einem Blick auf dein Alter würde ich an ein Mädchen denken…“
Michael nickte wortlos.
„Hä hä hä. Gut. Dann weißt du ja jetzt, wie ich mich fühle. Nichts reißt einen Menschen so tief in die Hölle, wie es seine Gefühle tun.“
„Wie meinst du das?“, fragte Michael verwirrt.
Einen Augenblick lang antwortete Jonathan Towers nicht. Eine gespenstische Stille breitete sich im Haus aus. Dann nahm Michael plötzlich ein Knacken im Holz der Treppe hinter sich wahr und ein Geräusch aus der Ecke des Geistes drang zu ihm herüber, das wie ein tiefes Durchatmen klang. Als der Geist wieder zu sprechen begann, war sämtliche Häme und jede Bösartigkeit aus seiner fernen Stimme gewichen.
„Es sind unsere Gefühle, die uns in die Hölle treiben. Liebe, Hass, Verzweiflung, Enttäuschung. Dem Pfad der Sünde in die ewige Verdammnis zu folgen ist nie eine rationale Entscheidung. Immer sind es unsere Emotionen, welche die Triebfeder unseres Handels sind. Selbst wenn wir glauben sachlich und vernunftgemäß zu handeln, so ist doch dieser Eindruck nichts anderes als unsere beschränkte Sicht der Dinge, eine Lüge, die uns etwas vorgaukelt. Der Mensch ist ein Sklave seiner Seele. Manche werden mit einer kranken Seele geboren. Andere müssen ein Leben führen, das ihre Seele über kurz oder lang verkrüppeln lässt. Nur die wenigsten dürfen ihr Leben im Zustand der Unschuld und der Gnade verbringen.“
„Du hast deine Frau getötet, hat mir Raphael erzählt.“, stellte Michael mit rauer Stimme fest.
„So. Raphael also ist der Name jenes Dämons, der mich hier festhält“, fauchte der Geist.
Eine Weile sagte keiner der beiden ein Wort. Dann erklang Jonathans Stimme erneut. Sie war beinahe tonlos, vollkommen gebrochen, als sie zu Michael hinüber klang.
„Sie hat mir das Leben zur Hölle gemacht. Ich habe mich nie für einen Mörder gehalten. Ich hätte mir nie vorstellen können einmal einen Menschen zu töten. Aber dann, im Bruchteil einer Sekunde, hat irgendetwas in mir ausgesetzt. An jenem Tag wollte ich nur noch aus der Hölle ausbrechen, die sie um mich herum errichtet hatte. Dieses Höllenweib!“
Die letzten Worte waren kontinuierlich lauter und zorniger geworden und nun wogte eine Welle von Emotionen über Michael hinweg. Zorn, Enttäuschung, Hass. Reue war nicht darunter.
„Du bereust noch immer nicht, was du getan hast“, stellte er leise fest. „Tut es dir denn gar nicht leid, dass du einen Menschen getötet hast?“
Ein Aufschrei peitschte durch den Keller. Der helle Schatten Jonathan Towers‘ fegte in unfassbarem Tempo heran und blieb nur wenige Zentimeter vor Michael zitternd in der Luft stehen.
„Nicht einen Augenblick lang tut es mir leid!“, zischte die geisterhafte Stimme erregt. „Ich würde es jederzeit wieder tun, du alberner Geck. Wenn du die Chance hättest den Teufel selbst zu töten, würdest du es nicht tun? Sofort und auf der Stelle? Dieses Weib hatte den Tod hundertfach verdient um all der Jahre wegen, die sie mir mein Leben sauer gemacht hat! Dafür, dass sie mich innerlich so kaputt gemacht hat, dass ich die ewige Verdammnis jeder weiteren Stunde mit ihr vorgezogen habe. Dafür, dass ich meine Seele ihretwegen beschmutzt und aufgegeben habe!“
Michael atmete schwer vor Schreck und der Angstschweiß bildete kalte Tröpfchen auf seiner Stirn. Mit einer solchen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Kein Zweifel – Jonathan Towers war nicht einmal der Ansicht, etwas falsch gemacht zu haben. Trotz all der Jahre, die er in der Isolation und
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