Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
der permanenten Furcht eines Verdammten verbracht hatte, war ihm seine Sünde noch immer nicht bewusst.
Wortlos wich er zurück, ging rückwärts die knarrenden Treppenstufen empor, ohne den Geist am Fuß der Treppe aus den Augen zu lassen. Jonathan Towers starrte finster zu ihm hinauf, voll Zorn und Hass.
„Wart nur, Bürschchen“, erklang seine Stimme noch einmal. „Im Augenblick magst du durch deinen Engelsfreund geschützt sein. Aber ich weiß, das wird nicht immer so sein. Irgendwann komme ich aus diesem Keller wieder hinaus und dann…“
Michael hatte den oberen Absatz der Treppe erreicht. Er trat in den Flur hinaus und schlug die Kellertür zu. Ein letztes Mal noch vernahm er ein gespenstische s Lachen von unten. Dann wandte er sich ab und rannte die Treppe zu seinem Zimmer hinauf.
Er stürmte durch die Tür und ließ sie krachend hinter sich ins Schloss fallen.
„Michael. Endlich finde ich dich!“
Michael schrie vor Schreck auf und stolperte unsicher einige Schritte zurück.
Dort vor ihm, in der Ecke, in der sein Bett stand, erstrahlte der Raum in einem goldenen, pulsierenden Licht. Hell und warm tauchte es das Zimmer in ein Meer aus göttlichem Feuer. Scheinbar unkontrolliert floss es über die Möbel, das Bett, den Schreibtisch daneben. Es wirkte vollkommen unbezähmbar, so als befände sich sein Träger in einem Zustand höchster Aufregung.
„Elizabeth!“, hauchte Michael. „Was tust du hier?“
„Michael. Es ist etwas Fürchterliches geschehen!“, wimmerte Elizabeth. „Eleanor ist tot!“
Eine tiefe Stille setzte auf ihre Worte ein. Keiner der beiden wagte Luft zu holen. Schließlich taumelte Michael zurück, stieß mit dem Rücken gegen seine Zimmertür und fiel zu Boden, als habe man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Den Schmerz in seiner Schulter nahm er nicht einmal wahr.
„Wie ist das passiert?“, flüsterte er entsetzt.
Elizabeth gab ein ersticktes Keuchen von sich. „Sie hat sich selbst das Leben genommen. Sie hat sich vor meinen Augen das Treppenhaus hinuntergestürzt.“
„Aber warum? Nur seinetwegen?“
Michael starrte leer vor sich hin. Es schien ihm unfassbar, dass Eleanors Besessenheit für Raphael ein solches Ende hatte nehmen können.
Elizabeth nickte wortlos. Ihr Leuchten war nun auf ein Minimum herabgesunken. Es flimmerte unsicher und dunkel, bar jeder Stärke.
Eine Weile sagte keiner der beiden ein Wort. Michaels Blick ging ins Leere, Elizabeth beobachtete ihn beinahe ängstlich.
„Michael…“, flüsterte sie schließlich. Sie streckte die Hand nach ihm aus, doch ihre Fingerspitzen berührten ihn nicht, blieben stattdessen unmittelbar vor ihm in der Luft hängen. Das Gefühl des Schmerzen, das er ausstrahlte war so mächtig, dass sie ihn nicht zu berühren wagte.
„Michael…“
Mit trübem Blick sah er zu ihr auf. Golden strahlend stand sie über ihn gebeugt, schön wie ein Wesen aus einem Traum und dennoch mit schmerzverzerrtem Gesicht, ebenso wie er selbst.
Michael hätte später nicht mehr sagen können warum, doch in diesem Moment nahm er sie zum ersten Mal wirklich wahr. Obwohl sie einander kannten, sah er in diesem einen Augenblick mehr von ihr, als je zuvor. Beinahe schien es, als habe der Schock über Eleanors Tod etwas in ihm ausgelöst, dass ihn die Welt plötzlich mit anderen Augen sehen ließ. Glasklar und detailliert wie durch eine Lupe sah er die Realität in geradezu erschreckender Klarheit. Elizabeth wirkte trotz des Kummers in ihren Zügen jung und vollkommen unschuldig. Nie im Leben hätte er sich vorstellen können, dass sie vor über einhundert Jahren einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben könnte. Ihre Augen waren groß und trotz des Lichtes, das ihr ganzer Körper ausstrahlte, ungewöhnlich dunkel. Ein beständiger Ausdruck von Furcht gab ihrem Gesicht etwas Gehetztes, etwas Ruheloses. Fast schien es, als sei ein Teil von ihr gleich einem Reh fast unablässig auf der Flucht, stets nur kurz an einem Ort verbleibend und jederzeit wachsam. Sie mochte als junges Mädchen aus dem Leben geschieden sein, doch ihr Gesicht zeigte bereits die ersten Anzeichen kommender Schönheit mit hohen Wangenknochen und fein geschwungenen Lippen. Sie wäre einmal eine bemerkenswert attraktive Frau geworden, dessen war Michael sich sicher. Doch das Schicksal hatte es anders gewollt, hatte ihre Entwicklung gestoppt und sie auf ewig an das Aussehen eines jungen Mädchens gebunden, das sich durch die Grausamkeiten eines Vaters und des
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