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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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sollte sie das Buch vor ihren durchbohrenden Blicken verstecken? Cat starrte sie an und versuchte, kostbare Zeit zu gewinnen, um nachzudenken. Dann stieg sie vorsichtig aus dem Gewand und hielt dabei verstohlen den Beutel in der Hand. Als sie aus dem am Boden liegenden Stoff stieg, ließ sie ihn unbemerkt hinter sich fallen.
    Die schlanke Frau schlug auf das Gewand ein und schüttelte es vor der patrona , als wollte sie etwas beweisen.
    »Woher hast du Djellaba?«, fragte die patrona sie schließlich im Namen der anderen Frau.
    »Sie ist ein Geschenk«, sagte Cat und bedeckte ihre Blöße mit den Händen und ihrem langen roten Haar. Sie kam sich vor wie Eva im Paradies, zum ersten Mal schämte sie sich ihres Körpers. »Vom raïs , Al-Andalusi.« Sie sah, wie die beiden Frauen sich aufgebrachte Blicke zuwarfen, dann ließ die schlanke das Gewand fallen und ging mit der Peitsche auf Cat los. Ihre Haut brannte wie Feuer, als das biegsame Leder auf sie niedersauste. Die anderen Frauen sahen mit offenem Mund zu, doch keine wagte, ihr zu Hilfe zu kommen. Von der Gefangenschaft geschwächt, reagierte Cat nur langsam, doch sie war größer und sehniger als die Marokkanerin, und obendrein kochte sie vor Wut. Sie stürzte sich auf ihre Peinigerin, schaffte es, der Frau den Schleier vom Gesicht zu reißen und die Hand mit der Waffe in ihrem Gewand zu verheddern, doch im Nu hatten die patrona und die Schreiberin sie zu Boden geworfen. Als sie von ihr
abließen, war ihre blasse weiße Haut nicht nur von roten Striemen übersät, sondern auch von blauen Flecken.
    Unterdessen glättete die amina ihr Gewand, spuckte auf Cats entblößten Rücken und krönte diese Schmach mit einem Schwall von Beschimpfungen.
    Was dann geschah, würde Cat bis an ihr Lebensende als Augenblick extremer Erniedrigung im Gedächtnis bleiben. Die beiden Frauen spreizten ihre Beine und untersuchten fachmännisch ihr Geschlecht. Dann hatten sie offenbar einen hitzigen Streit, und am Schluss drehte die patrona Cat auf den Rücken. »Jungfrau, ja oder nein?«, fragte sie.
    Mit weit aufgerissenen Augen nickte Cat, was eine weitere stürmische Debatte auslöste. Mittendrin stand Cat vorsichtig auf. Der kleine Beutel lag auf dem gekachelten Boden. Einige der anderen Frauen starrten darauf, als könnte jeden Augenblick etwas Ungeheuerliches daraus entspringen. Cat wünschte, sie würden es nicht tun. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie die Aufmerksamkeit der amina weckten. Mit einer raschen Bewegung hob sie ihn auf und wandte sich zu ihren Landsleuten um.
    Einen Augenblick glaubte sie, mit ihrer Täuschung davonzukommen, doch die amina hatte scharfe Augen. Cat hörte die Peitsche durch die Luft sirren, noch bevor sie sie traf. Hätte sie sich nicht umgedreht, wäre sie, ohne allzu großen Schaden anzurichten, auf ihrem Hinterkopf gelandet, so aber traf die volle Wucht des Schlags sie im Gesicht, und aus Schreck über den Schmerz ließ sie den Beutel fallen. Im nächsten Moment hatte die amina ihn aufgehoben. Dann schwenkte sie das Buch vor Cat. »Was ist das?«
    Mittlerweile strömten Tränen über deren Gesicht, ausgelöst durch eine ununterdrückbare Mischung aus Schmerz, Wut und Scham. Sie schüttelte den Kopf, unfähig zu antworten. Die amina schlug es auf und studierte es. Die patrona und die Schreiberin kamen dazu. Zusammen rätselten sie über die
Bedeutung der seltsamen Zeichnungen und handschriftlichen Notizen.
    »Es ist mein Gebetbuch«, sagte Cat endlich, als hätte Gott selbst sie beflügelt.
    Die patrona runzelte die Stirn.
    »Gebet?«
    Cat faltete die Hände vor der Brust. »Gebet.«
    »Für deine Religion?«, fragte die patrona erneut.
    Cat nickte. Nell Chigwine würgte, als müsste sie eine gehässige Bemerkung hinunterschlucken. Die amina blätterte durch die Seiten, stieß mit dem Finger auf eine der Vorlagen und sprach eindringlich auf die Schreiberin ein, die nickte.
    »Khadija sagt, ist Ketzerei«, verkündete die patrona . »Deine Religion ist nicht wichtig, nur Ketzerei. Das Gewand hast du gestohlen, das Buch auch - ins Feuer damit, wie deine Seele.«
    Danach passierte alles wie in einem Nebel. Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, und nachdem auch die arme Matty Pengelly (seltsamerweise aber nicht die alte Jungfer Anne Samuels) der beschämenden Untersuchung unterzogen worden war, scheuchte sie die patrona aus dem Raum und durch ein Labyrinth von kühlen, dunklen Gängen, bis sie eine Tür erreichten, aus der große

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