Die Zehnte Gabe: Roman
Neugierigen. Alle wollten sich die neuen Sklaven ansehen, die der Djinn von seinem letzten Beutezug in Feindesland mitgebracht hatte. Die meisten trugen lange Gewänder,
und viele Bart und Turban, aber durch die Menge schritten auch andere, Männer, die sie an den in Plymouth geborenen Renegaten erinnerten, der zum Türkentum übergetreten war und einen neuen Namen angenommen hatte: Ashab Ibrahim. Sie waren hellhäutig, stolzierten in europäischer Kleidung herum wie Herren auf einem Fest und drängelten sich nach vorn, als hätten sie das Recht dazu. Verräter, dachte sie bitter. Männer, die ihr Mäntelchen nach dem Wind hängten, und nur des Geldes wegen. Sie kochte vor Wut. Wie konnten sie es wagen, anständige Christen, die man dermaßen geschunden hatte, zu begaffen und zu verspotten? Oder schlimmer noch, eine Frau zu kaufen, die sie in ihrem eigenen Land auf ehrliche Weise nie und nimmer hätten erobern können?
Die Frauen aus Penzance waren nicht die einzigen beweglichen Güter, die an diesem Tag auf dem Sklavenmarkt versteigert werden sollten. Reihenweise wurden aneinandergekettete männliche Gefangene auf die andere Seite des Marktplatzes getrieben und dabei so stolz vorgeführt, als handelte es sich um Zuchthengste bei der Frühjahrsauktion. Sie trugen nur einen Lendenschurz aus weißer Baumwolle, und der Preis, zu dem sie verkauft werden sollten, war ihnen mit Kohle auf die Brust gemalt worden. Cat erkannte keinen aus dem Unterdeck wieder. Offensichtlich waren auch andere Korsarenschiffe mit eigener Sklavenbeute aus den Gewässern an den Küsten der Christen zurückgekehrt.
Während der Vorführung priesen die dilaheen mit lauter Stimme die Vorzüge ihrer Schützlinge und ermunterten die versammelten Käufer, sich bei der Versteigerung der Prachtexemplare für die Galeeren, Privatarmeen oder für harte Arbeit auf dem Feld gegenseitig zu überbieten. Manche wurden als Schiffsbauer angeboten, Segelmacher oder Kanonenschützen: Sie erzielten die höchsten Preise. Die meisten jedoch waren Fischer, raue Burschen mit wettergegerbten Gesichtern und sehnigen Armen. Die potenziellen Käufer befühlten die Muskeln
der Sklaven, prüften Brust und Bauch und untersuchten ihr Gebiss, um sicher zu sein, dass das Alter, das die Auktionatoren angegeben hatten, auch stimmte. Frauen kamen dazu, deren Haut fast so schwarz war wie die zerschlissenen Gewänder, die sie trugen. Ihnen hatte man den Preis mit Kreide auf den Rücken geschrieben. Cat beobachtete entsetzt und fasziniert zugleich, wie ein Mann einer dieser Frauen das Gewand auszog und ihre Arme und Beine betastete, um zu sehen, wie dick sie waren. Sie hatte noch nie eine solch glänzende ebenholzschwarze Haut gesehen, doch der Kaufinteressent schien gegen solche Exotik immun zu sein und kniff die Frau weiter ins Fleisch, um sich zu vergewissern, dass sie kräftig und gesund war. Ob sie schwanger war? Er berührte ihren Bauch und hätte sich auch noch weiter gewagt, wenn der dilaheen ihn nicht daran gehindert hätte - keineswegs böse, sondern mit einem Scherz.
»In ihren Augen sind wir kaum mehr als Tiere«, bemerkte Jane Tregenna angewidert. »Uns wählen sie danach aus, ob wir für sie Kinder auf die Welt bringen oder uns zu Tode schuften können.«
»Vielleicht wird der Brief, den Cat geschrieben hat, uns retten, und Sir Arthur schickt das Lösegeld«, begann Matty, aber die ältere Frau drehte sich zu ihr um.
»Du hast weniger Verstand in deinem Kopf als eine Feldmaus, Mathilda Pengelly! Glaubst du wirklich, der Herr von Kenegie kann sein Geld für Leute wie uns zum Fenster rauswerfen? Aber auch wenn er eine solche Summe aufbringen könnte, woher wissen wir, dass diese Wilden sie nicht nehmen und über ihn lachen würden? Oder sich, nachdem wir an verschiedene Orte verkauft sind, die Mühe machten, uns aufzustöbern und wieder nach Hause zu schicken? Und selbst das käme nur in Betracht, wenn der Brief ihn überhaupt erreicht, was ich ernstlich bezweifle.«
Niemand antwortete, denn es gab nichts zu sagen. Unter dem schockierenden Eindruck von Nell Chigwines Tod hatten die
Frauen nun, da sie sich einer unsicheren Zukunft gegenübersahen das Gefühl, dass sich eine noch tiefere Dunkelheit über sie senkte. Sie konnten an jeden verkauft werden, der auf sie bot und sie entweder nach Belieben benutzen oder an jemand anderen in wer weiß welchem gottverlassenen Winkel dieser seltsamen Welt weiterverkaufen mochte. Von nun an würden sie getrennt von ihren
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