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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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Ehering; vielleicht war das bei moslemischen Männern nicht üblich. Aber bestimmt war er verheiratet und hatte einen ganzen Stall voller Kinder zuhause und vielleicht ja sogar mehr als eine Frau? War die Polygamie in dieser Kultur nicht immer noch erlaubt? Plötzlich ging mir auf, wie wenig ich über moslemische Männer wusste.
     
    Draußen schlug mir die Sonne wie ein Hammer auf den Kopf, und ich nahm Zuflucht zu einem großen Strohhut und meiner Sonnenbrille.
    »Hier sind wir in der alten Medina«, erklärte mir Idriss, als wir die Gasse vor dem riad hinaufschlenderten. »Das ist der alte Teil der Stadt. Schon zu Zeiten der Karthager und der Römer haben hier Menschen gesiedelt. Und seitdem hat sich nicht viel geändert. Wir sind ein konservatives Volk, das seine alten Traditionen bewahrt.«
    Frauen in knöchellangen Gewändern, mit Kopftuch und Körben voller Einkäufe vom Markt standen am Ende der Gasse und tratschten, schlugen sich gegenseitig auf die Hände und lachten laut. Sie warfen uns Blicke zu, als wir an ihnen vorbeikamen, doch ohne ihr Gespräch für eine Sekunde zu unterbrechen. Wir bogen um eine Ecke, folgten einer anderen Gasse in diesem Labyrinth und standen plötzlich auf einem weitläufigen Platz, über den eine sechsspurige Straße führte. Der Verkehr brauste, die Autos hupten. Auf der anderen Seite der Straße erhob sich eine hohe, mit Zinnen bewehrte rote Mauer, verwittert von jahrhundertealter Erosion, mit Schießscharten
bedeckt und in regelmäßigen Abständen von hohen Torbogen unterbrochen.
    »Unfassbar! Sieht aus, als hätte sie einiges erlebt!«
    »Das ist die Kasbah des Oudaias - sie wurde von dem Almohadensultan Abd al-Mumin im zwölften Jahrhundert begonnen, um die Region gegen Angriffe vom Meer aus zu schützen. Sein Sohn, Abu Yaqub Yusuf I., setzte die Arbeit fort und errichtete diese gewaltige Stadtmauer um ein bereits existierendes Kloster - daher der Name der Stadt Rabat, der so viel wie ›Klosterburg‹ bedeutet. Von hier aus eroberten die moslemischen Gotteskrieger die iberische Halbinsel, und später, im siebzehnten Jahrhundert, wurde die Stadt zum Stützpunkt des heiligen Krieges der Korsarenrepublik gegen das Christentum.«
    »Sie hören sich an wie mein Geschichtslehrer auf der Schule. Wir verbrachten die Unterrichtsstunden damit, endlose Listen mit Daten anzufertigen, aber gelernt haben wir trotzdem nichts.«
    »Dann werde ich mir Mühe geben, es etwas anschaulicher zu machen.« Er klang verächtlich und gleichzeitig gekränkt.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, daher ließ ich zu, dass er meinen Ellbogen nahm und mich über die mörderische Straße in den Schatten der großen Mauer bugsierte.
    Als wir durch den Torbogen traten, schlängelte sich ein junger Mann an mich heran. » Voulez-vous un guide, madame? Moins cher - «
    Idriss überhäufte ihn mit einem Schwall von Beschimpfungen, und der junge Mann ergriff die Flucht.
    »Bestimmt hat er es nicht böse gemeint«, sagte ich, verärgert über seine heftige Reaktion.
    »Inoffizielle Führer bringen Marokko in Verruf. Sie belästigen die Touristen, und einige spezialisieren sich auf allein reisende Frauen. So etwas sollte man nicht unterstützen.«
    »Ich wollte eigentlich nur einen Führer, keinen Wachhund.« Ich lächelte.

    Er sah mich eiskalt an. »Im Islam sind Hunde unreine Tiere. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich nicht als Hund bezeichnen würden.«
    Ich wollte schon einwenden, dass ich nicht die Absicht gehabt hätte, ihn zu beleidigen, doch dann ging mir auf, dass ich die kulturelle Kluft vermutlich nur vertiefen würde, und ließ es sein. Danach gingen wir eine Weile schweigend nebeneinander her, bis wir in eine Gasse zwischen zwei hohen, rauen Steinwänden einbogen und unvermittelt in einem außerordentlich kunstvoll angelegten Garten standen. Ein Wirrwarr von Pfaden, die mit Mosaiken belegt waren, unterteilte die einzelnen Abteilungen für Kräuter und Oleander, Blumen und Bananenpflanzen, alle in vollkommener Ordnung. Holzspaliere spannten sich über mehrere dieser Beete und dienten als Stütze für Kletterpflanzen, deren dichtes Laubwerk etwas Schutz vor der grellen Sonne bot. Orangen leuchteten an den Bäumen, Arkaden säumten die Ränder und boten schattige Nischen, wo Leute saßen und lasen oder in den Anblick der friedlichen Umgebung versunken waren.
    »Wunderbar«, sagte ich leise. »Wie eine Miniaturausgabe der Alhambra.«
    »Man nennt ihn den andalusischen Garten, in Wirklichkeit aber

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