Die Zehnte Gabe: Roman
Catherine. Vergiss nicht, dass du aus gutem Hause stammst: Dein Blut ist besser, als du ahnst. Sei stolz und wahre deine Ehre vor Gott in diesem heidnischen Land.«
EINUNDZWANZIG
S ie sind bestimmt Madame Lovat, nicht?« Die Sprecherin war eine winzige Frau, die ein elegantes dunkles Gewand und einen hellen Hijab aus Seide trug.
»Julia, ja. Madame Rachidi?«
»Nennen Sie mich Naima. Warten Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer. Lassen Sie das Gepäck hier stehen, Aziz trägt es herüber. Hatten Sie eine gute, eine angenehme Reise?«
Ich folgte ihr durch mehrere lange, weich erleuchtete Gänge zu einem offenen Innenhof. Schmiedeeiserne Tische und Stühle standen um einen Springbrunnen in der Mitte, in dessen viereckiges Becken jemand eine Hand voll duftender Rosenblüten gestreut hatte. Prächtig verzierte Laternen warfen durchbrochene Lichtstreifen in alle Ecken des Patios, im ersten Stock zog sich eine von Pfeilern gestützte Arkade rings um die Wände, und darüber erspähte ich noch eine Galerie aus Zedernholz, die von wucherndem Jasmin und Bougainvillea bedeckt war. Den letzten perfekten Schliff gab die Mondsichel, die in dem leeren schwarzen Viereck über uns hing. »Wunderschön ist es hier, Naima«, seufzte ich.
» Barakalaufik , Madame Lovat.« Sie wandte leise lächelnd den Blick ab und trat dann auf eine Seite des Hofes, wo sie eine Flügeltür aufschloss und beide Türhälften öffnete. Dahinter verbarg sich ein Zimmer aus Tausendundeiner Nacht. Ein riesiges Bett mit Baldachin, bedeckt mit schneeweißen Laken und unzähligen Seidenkissen; dicke weiche Teppiche auf einem polierten Steinboden, Messingtische, ein Tablett mit farbigen Gläsern und einer Wasserkaraffe, Laternen, Kerzen, zwei niedrige
holzgeschnitzte Stühle. Eine gepolsterte Sitzbank zog sich an der Wand unter dem mit Läden verschlossenen Fenster entlang, das auf den Innenhof hinausging. Durch das verschnörkelte Gitter strömte der Duft von Rosen und Räucherwerk ins Zimmer. Ein Durchbruch im maurischen Stil führte in ein luxuriöses Bad mit glänzend verputzten Wänden, feinen Mosaikkacheln, zwei Becken aus gehämmertem Gold, einer tiefen Wanne, die aussah, als wäre sie aus Marmor, und einer separaten Duschkabine - alles erleuchtet von flackernden Kerzen. Es verschlug mir die Sprache. Ich stellte mir vor, wie es sein müsste, ein solches Badezimmer zu besitzen. Hätte es mir gehört, hätte ich darin gewohnt, und meine Haut wäre so schrumpelig wie die einer Dörrpflaume.
»Milouda hat ein Tajine vorbereitet, falls Sie müde sind und heute Abend lieber hier essen möchten«, sagte Naima Rachidi von der Türschwelle aus.
Ich drehte mich um, noch halb in meiner Träumerei versunken. »Das war sehr aufmerksam von Ihnen.«
»Ich lasse Ihnen einen Tisch im Innenhof decken. Er wird in einer halben Stunde fertig sein, ist Ihnen das recht? So haben Sie Zeit, vor dem Essen auszupacken und zu baden.«
»Vielen, vielen Dank.«
» Tanmirt .« Sie neigte den Kopf. » Marhaban . Seien Sie willkommen.«
Ich lächelte ihr zu. »Sie sprechen ein wundervolles Englisch. Mein Arabisch dagegen ist nicht existent, fürchte ich.«
Sie verzog das Gesicht. »Ich habe Englisch hier auf der Schule gelernt, aber eigentlich sind wir Berber - in meiner Familie sprechen wir lieber unsere eigene Sprache. Idriss wird Ihnen bestimmt ein paar Worte beibringen, wenn Sie möchten.«
Idriss. Den hatte ich fast vergessen. Würde er zu der romantischen Idylle passen, die seine Cousine hier geschaffen hatte? Vielleicht war das ein bisschen viel verlangt. Ich packte aus,
stellte mich unter die Dusche und ging wieder in den Innenhof. Dort nahm ich an einem der Tische im Hof Platz, wo Naima mir das Tajine servierte und ich über die komplizierten Gewürze und die ungewohnten Zutaten spekulierte. Das Lamm zerging auf der Zunge, und wenn ich etwas hinunterschluckte, hinterließ es kleine feurige Spitzen, einen Nachgeschmack von Zitrone, Chili, Knoblauch und einem Dutzend weiterer feiner Aromen. Als Milouda, eine geschäftige, ältere Frau mit weißen Leggings, einem um dem Kopf gewickelten Tuch und einem bauschigen knielangen Gewand kam, um meine hastig geleerten Teller abzuräumen, fragte ich, was darin gewesen war. Sie erzählte mir, was ich bereits wusste, dann legte sie den Finger neben die Nase - universelle Geste verschwörerischer Geheimniskrämerei.
» C‘est magie «, sagte sie und weigerte sich standhaft, weitere Erklärungen abzugeben.
In dieser Nacht
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