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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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rosige Aussichten für ein hübsches Mädchen aus anständiger Familie. Ganz sicher gab es in dieser Konstellation keinen Hinweis auf die Herkunft von Catherines fuchsrotem Haar und ihren langen, ebenmäßigen Gliedmaßen. Neunzehn war ein gefährliches Alter: Das Mädchen sollte heiraten, und zwar bald. Sie hatte gesehen, wie ihre Söhne William und Thomas Catherine beobachteten, wenn sie durchs Haus ging.

    »Hast du heute Morgen deinen Vetter gesehen?«
    Cat runzelte die Stirn. »Ja, Madam.«
    Margaret Harris strich ihren Rock glatt. »Er ist ein guter Arbeiter, unser Robert. Sir Arthur hat es immer wieder gesagt. Es würde mich nicht überraschen, wenn er ihm den Posten des Verwalters anbietet, sobald George Parsons sich zur Ruhe setzt.« Sie suchte im Gesicht des Mädchens nach einer Reaktion. »Natürlich wäre das einfacher, wenn er bereits ein gesetzter Mann mit eigener Familie wäre«, bohrte sie weiter.
    »Oh, Robert hat eine große Familie«, sagte Cat leichthin. »Bolithos und Johns gibt es in allen Weilern und Gehöften hier, von Gulval und Badger’s Cross bis nach Alverton und Paul. Er wird diese Gegend nie verlassen, dazu ist er nicht der Typ.«
    »Das ist nicht ganz das, was ich meinte«, sagte Lady Harris ruhig. »Robert ist ein sanftmütiger und fähiger junger Mann. Ich will nicht lange herumreden, er wäre eine gute Partie für ein Mädchen vom Land.« Ihre glänzenden grauen Augen ließen Cat nicht los, bis klar war, was sie gemeint hatte.
    »Oh.« Cat starrte auf den gemusterten Teppich, der sich zwischen ihnen erstreckte - den türkischen Teppich, wie ihre Herrin ihn nannte. Er war bunt, durchwirkt von herrlichen Motiven in Beige, Dunkelrot und Umbra und glühte wie ein lebendiges Ding zwischen den stumpfen Erdfarben des übrigen Zimmers: den holzgetäfelten Wänden, dem Granitboden, den schweren, dunklen Möbeln aus Walnussholz und Mahagoni. Cat hätte alles darum gegeben, mit solcher Wolle arbeiten zu können. Wie prächtig die Wandbehänge und Stickereien des Orients sein mussten. Wie gern hätte sie sie mit eigenen Augen gesehen, doch vermutlich käme sie solchen Stücken niemals näher als in diesem Augenblick auf dem »türkischen Teppich«. Sie hob den Kopf und sah der anderen Frau ruhig in die Augen. »Mein Vetter ist ein guter Mensch, und ich habe ihn so gern, als wäre er mein eigener Bruder«, sagte sie mit fester Stimme.

    Lady Harris hielt den Augenblick noch nicht für gekommen, um das Thema fortzusetzen. Trotzdem war sie entschlossen, noch ehe der Sommer zu Ende ging, aus Catherine Tregenna Catherine Bolitho zu machen.
     
    Ein paar Stunden später kam Robert zum Haus, um sie zu suchen. »Hast du Lust auf einen Spaziergang, Cat?«
    Es war vier Uhr nachmittags. Lady Harris war mit ihren Töchtern Margaret und Alice nach Trevailor gefahren, um den Pfarrer und Mrs. Veale zu besuchen und hatte lächelnd durchblicken lassen, dass sie keine besonderen Aufgaben für ihre Kammerzofe hätte, bis sie nach dem Abendessen nach Hause zurückkämen.
    Cat schützte mit der Hand die Augen und blickte an ihm vorbei über den Irrgarten und den Hof auf das offene Land dahinter. Die Sonne funkelte auf dem Wasser der fernen Bucht und verwandelte den Mount in ein Märchenschloss. Hoch über den Hügeln Richtung Lescudjack schwebte ein Turmfalke. Er ließ sich von einer warmen Luftströmung tragen und hielt Ausschau nach einem Kaninchen oder einer Wühlmaus. Zarte Federwölkchen zogen über den Himmel: Das schöne Wetter würde sich noch einen Tag halten; in den hellen Blättern der Sykomoren und Eichen, die das Rosemorran-Tal abschlossen, schimmerte eine leichte Brise. Sie sah keinen Grund, sein Angebot auszuschlagen, und wollte es auch gar nicht. In Wahrheit fand sie das Haus an solch heißen Sommertagen erstickend, und Robert war ein angenehmer Begleiter. Sie hatte nicht die Absicht, ihn zu heiraten, aber es wäre nicht schlimm, wenn man sie in seiner Gesellschaft sah. Außerdem wollte sie unbedingt herausfinden, was sie an diesem Morgen so geheimnistuerisch im Salon zu besprechen gehabt hatten.
    Sie richtete den Blick auf ihren Vetter. Robert beobachtete sie wie der Turmfalke sein Kaninchen: hungrig. Seine stechend blauen Augen durchforschten ihr Gesicht nach einer Reaktion.
»Danke, Robert«, sagte sie endlich und zog den Augenblick noch etwas mehr in die Länge. »Das wäre sehr nett. Bitte warte hier, ich ziehe mich nur rasch um.«
    Auf der Hälfte des großen Treppenhauses gab es ein Fenster.

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