Die Zehnte Gabe: Roman
Als Cat daran vorbeikam, warf sie einen Blick hindurch und sah zu Robert herunter. Seine großen Hände spielten mit dem Hut, als wäre er dabei, einem Huhn den Hals umzudrehen. Er drückte ihn auf den Kopf, nahm ihn wieder ab, steckte ihn in seine Tasche und wischte sich schließlich mit einem großen Taschentuch das Gesicht ab.
Nervös, dachte sie befriedigt. Und dazu hatte er auch allen Grund, denn sie würde ihm bestimmt nicht das Jawort geben.
In ihrem Zimmer ließ sie sich Zeit. Sie tauschte das Arbeitskleid gegen einen hübschen, bodenlangen Unterrock aus weißem Leinen, der mit flämischer Spitze verziert war. Sie hatte ihn auf dem Markt von Penzance gekauft, mit dem bisschen, das ihr übrig geblieben war, nachdem sie den größten Teil des Lohns ihrer Mutter ausgehändigt hatte. Über das vorn geschnürte Kleid aus blauer Wolle mit dem breiten weißen Leinenkragen schlang sie einen bestickten Schal mit einem hübschen Fries aus rankenden Blüten und Blättern. Es war eine Schande, den Eindruck der zarten Pastellfarben mit schweren Lederstiefeln zu zerstören, doch nicht einmal Cats Eitelkeit konnte sie dazu verleiten, ihr einziges Paar Satinschuhe bei einem Spaziergang auf dem Land zu ruinieren. Seufzend schnürte sie die Stiefel zu und tupfte dann sorgfältig ein wenig Rosenwasser auf Hals und Ausschnitt, sodass die Sonne auf der Haut es dem armen Robert in die Nase steigen lassen könnte.
Er stapfte den Kiesweg auf und ab, als sie endlich auftauchte, war aber vernünftig genug, ihr die Trödelei nicht vorzuwerfen. Stattdessen sagte er klugerweise: »Du siehst hinreißend aus, Cat.«
Dafür wurde er mit einem Lächeln belohnt, doch zugleich verbesserte sie: »Catherine«.
Sein Gesicht verdüsterte sich. Sie konnte die Veränderung beinahe zwischen den Schulterblättern spüren, als sie an ihm vorbei auf die Straße zuging, die an den Gehöften vorbeiführte.
»Komm, wir gehen rauf zum Castle an Dinas«, rief sie über die Schulter. »Ich muss mir ein wenig den Kopf durchpusten lassen.«
»Bist du sicher? Das ist ein weiter Weg.«
»Ich habe zwei Beine, falls du es nicht bemerkt haben solltest«, antwortete sie schnippisch und ging rascher, sodass sich die Ellbogen vor- und zurückbewegten.
Und ob er das bemerkt hatte! Der Gedanke an ihre Beine ließ ihn innerlich erbeben. Er musste fast rennen, um mit ihr Schritt zu halten. »Ich muss bei Sonnenuntergang zurück sein und Will mit den Kühen helfen.«
»Dann verschwenden wir besser keine Zeit mit müßigem Geschwätz«, erklärte Cat und marschierte mit großen Schritten und heftig schwingenden Röcken vor ihm her.
Sie nahmen den Fußpfad über die Wiese Richtung Gariss und Hellangrove. Schöllkraut, Grindkraut und Ochsenauge schimmerten wie vom Himmel gefallene Sterne im Gras. Cat stellte sich vor, wie sie sie in einem Schmuckband ausstickte: kleine Kreuzstiche von Gelb, Blau und Weiß auf smaragdgrünem Grund.
Links von ihnen stieg das Land sacht unter dem dornigen Dickicht an bis zu den bewaldeten, von lautem Vogelgesang erfüllten Hügeln. Die Hecken waren mit den hellen Blüten von Bärenklau und Bartflechte gesprenkelt, und die Sonne eines langen Tages hatte das heiße, pfeffrige Aroma von Ruprechtskraut und den durchdringenden Geruch von wildem Knoblauch freigesetzt. Die Gulval Downs erhoben sich vor ihnen, von goldenem Stechginster bedeckt. Unsichtbare Lerchen schütteten dem tiefblauen Himmel ihr Herz aus. Cat sah sich nach ihrem Begleiter um, der den größeren Pflanzen mit einem Weidenstock
mürrisch die Köpfe abschlug. »Komm schon, du Schlafmütze! Oder hast du Blei in den Stiefeln?« Dann rannte sie los und fühlte sich genau wie der Wildfang, als den ihre Mutter sie bezeichnet hätte, wenn sie sie in diesem Augenblick gesehen hätte.
Eine Dreiviertelstunde später standen sie auf dem Gipfel des Hügels, umtost von einer steifen südlichen Brise, die vom Meer kam, das Gras auf der Landspitze flachdrückte und den Stechginster verkrüppelte. Cats Haar peitschte hin und her, als sie sich auf einen Granitsteinhaufen in der Mitte des Erdwalls setzte. Die Umrisse der uralten Hügelfestung, die im Lauf der Jahrhunderte abgetragen und von Gras überwuchert worden war, sodass sich ihre für den Krieg bestimmten Ursprünge verloren hatten, umgaben sie wie eine Mauer, als säße sie in der schützenden Hand der Vergangenheit. Bei diesem Anblick ging Rob das Herz auf.
»Wie eine Königin der Krieger auf ihrem Thron. Bleib so …«
Sie
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