Die Zehnte Gabe: Roman
heil und gesund wieder da? Nan hat sich fast umgebracht vor Sorge.«
Robert schüttelte den Kopf. »Es gibt keine guten Nachrichten. Heute Morgen trieb die Constance durch den Nebel in die Bucht von Mousehole. Jack und Thom waren da, um auf … Sie hatten dort zu tun. Sie haben sie abgefangen, als sie gegen die Felsen vor St. Clement’s Isle schlug. Keine Seele war an Bord, die Segel hingen schlaff herunter, und die Netze waren unbenutzt.«
Cat runzelte die Stirn. »Aber letzte Woche war das Wetter gut. Der Seegang war nicht hoch genug, um ein Boot zum Kentern zu bringen.«
»Und erst recht kein gut gebautes Schiff wie die Constance . Thom sagte, die Seiten hätten Schrammen gehabt, aber die könnten von den Felsen stammen. Jack hingegen schwört, dass das Dollbord von etwas wie einem Enterhaken aufgesplittert war.«
Cats Augen weiteten sich. »Und die Klinge?«
»Lag zwischen den Planken der Bilge.«
»So ein Messer habe ich noch nie gesehen.«
»Ich auch nicht, und es gefällt mir nicht.«
»Was sagt Sir Arthur dazu?«
»Die Angriffe von Freibeutern auf Boote, die von der Südküste auslaufen, haben zugenommen, aber bislang waren es
hauptsächlich Kaufleute ohne Begleitschutz, die überfallen und ihrer Fracht beraubt wurden. Das ist nichts Ungewöhnliches, und der Himmel weiß, wie oft unsere Jungs französische und spanische Handelsschiffe im englischen Kanal ausgeraubt haben. Ich verstehe bloß nicht, was man davon hat, ein Fischerboot anzugreifen.«
Cat erschauerte. »Vielleicht war es bloß ein Unfall?«
Robert verzog das Gesicht. »Vielleicht. Aber ein Unfall erklärt nicht die Anwesenheit eines türkischen Dolchs in dem Boot.«
»Türkisch?«
»Wirklich, Cat, mehr darf ich dir nicht verraten, sonst ziehe ich den Zorn des Herrn auf mich. Ich habe schon viel zu viel gesagt. In dieser Gegend verbreiten sich Gerüchte wie Lauffeuer, und Sir Arthur befürchtet, dass die Leute in Panik geraten könnten über etwas, was sich möglicherweise als Einzelfall entpuppt.«
Sie packte ihn am Arm. »Rob, willst du damit sagen, dass es türkische Piraten in diesen Gewässern gibt?« Ihre Augen leuchteten. »Wie … exotisch. Ich würde furchtbar gern mal einen sehen.«
Robert starrte sie ungläubig an. »Das sagst du doch nur, um mich zu ärgern, Catherine. Ich selbst bete darum, nie das Unglück zu haben, solchen Kreaturen zu begegnen. Sie sind kaum mehr als Tiere. Ich habe Geschichten gehört …« Er schüttelte den Kopf, als er Cats glühendes Gesicht sah.
»Aber jetzt komm, der Tag geht zu Ende, und ich muss dich nach Hause bringen. Die Kühe werden unruhig, und bestimmt hast du vor Mistress Harris’ Rückkehr noch einiges zu erledigen. Schluss jetzt mit dem Gerede über Piraten.«
Cat löste den Kranz aus ihrem Haar. Beim nächsten kräftigen Windstoß warf sie ihn Richtung Meer, und zusammen beobachteten sie, wie er in der Luft tanzte, bis er sich auflöste und seine Blüten über die Felsen streute.
FÜNF
13. Juni. Am heutigen Tag findet die Hochzeit Unseres neuen Königs Karl I. mit Henriette statt, Prinzessin von Frankreich & Navarra; auch wurde heute das Fischerboot Constance vor den Klippen bei Mousehole gefunden, die Mannschaft ist verloren & alle Ausrüstung zerstört. Niemand kennt das Schicksal dieser Männer, jedoch steckte ein türkischer Dolch in den Planken des Schiffs & Rob mußte ich schwören, kein Sterbenswort über Piraten oder Türken zu verlieren, auf daß sich keine Gerüchte verbreiten können. Deshalb schreibe ich mein Geheimniß hier auf & nur dieses Buch & ich werden darum wissen. Ich habe gehört, daß die Türken schwarze Männer mit geschorenen Köpfen und grausamen Sitten sind. Rob sagt, sie seien nicht anders als wilde Tiere, und furchtbar gern würde ich einen mit eigenen Augen sehen …
E rstaunt ließ ich das Buch sinken. Ich hatte nichts anderes als Notizen zu den Mustern erwartet, die das Buch enthielt, Gedanken über die Farben des Garns und die Art der Stiche, die man ausführen muss, um das Muster zu entwickeln, doch dieses unerwartete Fenster in die Vergangenheit kam mir vor wie der flüchtige Blick auf einen Schatz.
Ich ertappte mich bei der Frage, ob Michael je einen von Catherines kryptischen, verblichenen Einträgen tatsächlich gelesen hatte oder ob er sie einfach nur bemerkt und als Verunstaltung angesehen hatte, die ihm die Möglichkeit gab, den Preis herunterzuhandeln, weil sie wertmindernd war? Ich sah
ihn förmlich vor mir, wie er, ständig auf
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