Die Zehnte Gabe: Roman
der Suche nach einem Schnäppchen, sich über jede kleine oder eingebildete Macke beschwerte, nur um ein paar Cents zu sparen. Ich weiß nicht, wie oft ich mich verlegen abgewandt hatte, wenn er mit einem unglücklichen Budenbesitzer oder Flohmarktverkäufer feilschte. Bei der Vorstellung, wie er seine Lieblingsantiquariate in Cecil Court abgeklappert hatte, um ein passendes Abschiedsgeschenk für mich zu finden, wurde mir übel. Wie lange hatte er diesen Augenblick vorbereitet? Wie lange hatten Anna und er sich denn schon wieder »gut verstanden« - und was bedeutete dieser schönfärberische Ausdruck genau? Ich stellte mir die beiden vor, dunkelhaarig, mit olivfarbener Haut, gleich groß, elegant untergehakt. Hatte ihre Annäherung sich tage-, wochen-oder monatelang mit unserer Affäre überschnitten? Ich rannte ins Bad und übergab mich, bis mir die Galle hochkam und Augen und Nase brannten.
Als ich zum Bett zurückkehrte, fühlte ich mich wacklig und leer. Auf dem Nachttisch wartete das Buch. Daneben lag mein Notizbuch, dessen Seiten mittlerweile mit meinen Interpretationen von Cat Tregennas Tagebucheinträgen vollgekritzelt waren. Mehr als drei Stunden hatte ich über der fremdartigen Form ihrer Buchstaben, der bizarren Rechtschreibung und dem unvertrauten Satzbau gebrütet und dabei sechs Seiten meines Notizbuchs gefüllt, obgleich meine Handschrift keineswegs so sauber wie die der jungen Stickerin, sondern überall, wo ich ein Wort nicht verstand, von durchgestrichenen Wörtern, Unterstreichungen oder Fragezeichen entstellt war. Nicht gerade ein hübsches Dokument, falls es in vierhundert Jahren jemand entdeckte. Und doch fühlte ich trotz aller Unterschiede zwischen unseren Zeiten eine starke Verbindung mit Catherine Anne Tregenna, nicht nur wegen unserer gemeinsamen Liebe zur Stickerei. Auch ich war in Cornwall aufgewachsen, und auch ich hatte wie sie von Flucht geträumt.
Auf ein neues Blatt schrieb ich ihren Namen und skizzierte
dann versonnen eine gewundene Ranke um die Großbuchstaben: eine schlichte Kreuzstichübung für eine Stickprobe, etwas, mit dem ein junges Mädchen in vergangenen Zeiten seine Handarbeitsausbildung begonnen hätte. Ich fragte mich, ob Catherine genau das getan hatte, ob sie ihren Namen in schlichten klaren Farben vorgezeichnet und dann mit Blattwerk und Blüten verziert hatte. Nach dem, was ich über die jakobinische Handarbeit wusste, hatte ihr bei den ersten Versuchen vermutlich kein besonders feines Material zur Verfügung gestanden. Da sie aus einer armen Familie kam, auch wenn diese gewisse gesellschaftliche Ambitionen gehegt hatte, war ihr wahrscheinlich nichts anderes übrig geblieben, als mit Sackleinen oder grob gefärbtem Tuch aus selbst gesponnener Wolle anzufangen, am ehesten Wolle, die sie zuerst eigenhändig mit Pflanzenfarben hatte einfärben müssen. Diese gewann man aus Kräutern oder wilden Sträuchern - Waid für Blau, Krapp für Rot und Stechginster oder Zwiebelschalen für Gelb. Und ganz bestimmt hatte Catherine keinen Zugang zu den hübschen Strängen von bunter Seide gehabt, wie jene, die ich als Kind wie besessen und säuberlich nach Farben geordnet in einem extra dafür bestimmten Kästchen aufbewahrt hatte. Geschmeidig war sie durch den grobfädigen Stramin geglitten, mit dem wir als Schülerinnen in der Handarbeitsklasse gearbeitet hatten.
Ich beendete die Skizze und hielt sie auf Armeslänge entfernt. Erst da fiel mir auf, was ich schon die ganze Zeit vor der Nase gehabt hatte: Catherine Anne Tregenna. Wenn man die Anfangsbuchstaben auf diese Weise hervorhob, kam man auf CAT oder Cat. Da musste ich laut loslachen. Ich hatte mich schon gefragt, warum sie nicht Kate oder Cath hieß; Cat klang auffallend modern für ein Mädchen aus dem siebzehnten Jahrhundert. Plötzlich überschwemmte mich eine Welle von zärtlicher Zuneigung für diese längst verstorbene Frau, die der Welt ihren eigenen, wundervoll ausgesuchten Namen aufgedrückt hatte. Hatte sie ihrem selbst ernannten Totemtier entsprochen? War
sie sauber und listig gewesen, mit leicht schräg stehenden Augen, immer auf der Hut? Hatte sie sich auf Samtpfoten durch das Landhaus bewegt, in dem sie arbeitete, und hatte sie angesichts der Dummheit der anderen still in sich hineingelächelt? Ich konnte sie mir vorstellen, klein und dunkel, in einen ausladenden, mit selbst gemachten Kissen ausstaffierten Holzsessel gekuschelt, im Licht eines schmalen Fensters, wie sie mit Nadel und bunten Fäden die
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