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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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fünfundzwanzig Jahren, gerade sechs Jahre älter als Catherine Tregenna, den Thron bestiegen.
    Noch interessanter war die Tatsache, dass der mächtigste Berater von König Jakob Robert Cecil, der Earl of Salisbury gewesen war. Hatte Catherine nicht seine Frau, die Countess of Salisbury, als Auftraggeberin erwähnt? In fiebriger Erregung kam ich mir plötzlich vor wie ein laienhafter Detektiv und kehrte zum Stolz der Stickerin zurück.
    10. Juli. Heute war der schröcklichste Tag in meinem Leben, er genügt, um meine Seele verzweifeln zu lassen. Der ganze Zorn des Herrn hat sich über mich ergossen, als würde ich bestraft für die Kühnheit, mir ein besseres Leben zu wünschen. Ich empfinde eine solche Wut, daß ich an nichts anderes zu denken vermag, seit Will Chigwines Frau Nell mich als Versucherin & Hure von Babylon beschimpft hat & Mistress Harris für sie Partei ergriffen hat & mir meinen Vetter nun als Ehemann aufzwingen will …

SECHS

    CATHERINE
    Juni 1625
     
    C at strich mit der Hand über den Stolz der Stickerin . Das erste Licht der aufgehenden Sonne fiel schräg durchs Fenster auf ihr konzentriertes Gesicht und verwandelte ihr rotgoldenes Haar in einen hellen Lichterkranz. Sie war mit einem Bild erwacht, das sich wie eine Efeuranke in ihrem Kopf festgeklammert hatte, unerbittlich und zart zugleich. Sie hatte das Gefühl, dass es sich in Luft auflösen könnte, wenn sie auch nur mit der Wimper zuckte, war aber entschlossen, dies keinesfalls zuzulassen. Denn schon beim Aufwachen hatte sie das Bild als das erkannt, was es zweifellos war: den Entwurf für das Altartuch, das ihr wie eine himmlische Vision erschienen war.
    Die Verantwortung für diesen Auftrag hatte ihr in den zurückliegenden Wochen schwer auf der Seele gelegen, nicht nur wegen der ästhetischen Herausforderung, sondern auch wegen der vielleicht damit verbundenen Möglichkeit, weiterzukommen und ihrem jetzigen Dasein zu entfliehen. Insgeheim hatte Cat einen Traum: Wenn sie ein Altartuch schuf, das bei der Countess of Salisbury angemessenen Beifall fand, würde diese erlauchte Persönlichkeit unter Umständen beschließen, Catherine Tregenna als unverzichtbare Bereicherung ihres Lebens und ihres Heims anzusehen und in ihr prächtiges Londoner Anwesen holen. Falls Cat diese Möglichkeit bekäme, würde sie ihre Stellung auf Kenegie aufgeben, das wusste sie genau, sie würde Penwith, Cornwall und alles andere verlassen, ohne auch nur einen
einzigen Blick zurückzuwerfen. Freudig würde sie die südlichen Winde und das schimmernde Meer, die von Stechginster bedeckten Hügel und die von Flechte überzogenen Granitfelsen ihrer Heimat gegen ein Leben in einem richtigen aristokratischen Haus eintauschen. Der Tratsch und das Gerede auf Kenegie nahmen ihr die Luft zum Atmen; ihre Aufgaben für Lady Harris langweilten sie, ganz gleich, wie freundlich ihre Herrin sie behandelte, und die Aussicht, dass sie keinen besseren Ehemann als Robert erwarten konnte, trieb ihr Tränen der Verzweiflung in die Augen. Sie war zu Höherem bestimmt. Ihre Mutter hatte es ihr stets eingeschärft, und sie glaubte daran, mit jeder Faser ihres Seins.
    Vor dem Einschlafen hatte sie an das Altartuch gedacht, an sein Thema, seinen Entwurf und das Material, das sie benutzen würde. In der Nacht schien dann eine seltsame Alchemie stattgefunden zu haben, die Sehnsucht und Inspiration in visueller Form zusammenführte. Die Vision spukte noch in ihrem Kopf herum, aber konnte sie sie einfangen und festhalten, bevor sie ihr entwischte? Ihre Zukunft hing möglicherweise davon ab, ob es ihr gelang, und bei diesem Gedanken zitterte ihre Hand.
    Sie holte tief Luft, verstärkte ihre Entschlossenheit und führte den Stift in einer leichten, gebogenen Linie vom oberen bis zum unteren Rand des Blattes. Der erste Strich auf der jungfräulichen Oberfläche brach den Zauber, und plötzlich war sie frei. Die Umrisse eines Baumstamms waren schnell erkennbar, die Hand bewegte sich rasch und entschieden, deutete hier und da Äste an, die sich anmutig ineinander verflochten, eine Fülle von Blattwerk, von Beeren, Knospen und Blüten. Das Muster entfaltete sich wie das Blatt eines jungen Farns - zierlich, gekrümmt, ikonisch - in kräftiger, beruhigender Symmetrie. Von einem Fundament ineinander verschlungener Wurzeln, aus dem kleine Geschöpfe lugten - ein Hase, ein Frosch, eine Schnecke - streckte sich der Baum der Erkenntnis dem Himmel entgegen. Adam stand auf einer Seite, Eva auf der anderen;

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