Die Zehnte Gabe: Roman
dir einen Schutzbrief ausstellen, falls ihr in die Hand von anderen … Händlern fallt. Gibt es sonst noch etwas, das ich tun kann?«
Rob kam es vor, als glühte der Korsar von innen heraus, als brannte eine Sonne in ihm, ebenso greifbar wie sein Triumph. Er wandte sich ab. Der Anblick des Mannes, der seinen Lebenstraum zerstört hatte, schmerzte. »Nein«, antwortete er stumpf. »Es ist nichts mehr da, um das zu bitten es sich lohnen würde.«
ZWEIUNDDREISSIG
Und so nahm ich dich, Matty, zur Frau. Eine gute Frau warst du mir all die Jahre & eine treusorgende Mutter für unsere Jungs. Aber ich war nicht der beste Ehemann für dich. Ich war treulos & ungestüm & wütend & voller Sorgen, die ich zu oft im Alkohol zu ertränken suchte. All das tut mir leid. Vor allem aber tut es mir leid, daß ich nicht rechtzeitig gesehen habe, welchen Kurs mein Leben hätte nehmen sollen, nämlich diesen Weg allein zu gehen, statt Dich mit in den Abgrund zu reißen. Wenigstens hast Du jetzt eine Chance, dir eine neue Zukunft aufzubauen. Geh weg von Kenegie. Man erstickt an diesem Ort, er ist voll von Verzweiflung und Misserfolg. Geh weg von hier, solange Du noch kannst: Rette Dich. Suche Dir jemand anderen & belaste Dich nicht mit dem bleiernen Gewicht meines Lebens oder meines Todes.
Geh, wenn nicht mit meiner Liebe, so doch wenigstens mit meinem Mitgefühl.
Dein sündiger Ehemann Robert Bolitho
I driss blickte von dem Brief auf und sah mich an. »Was für ein trauriges Ende für eine so furchtlose Geschichte.«
Wir saßen mit Blick auf die breite Mündung des Bou Regreg im Café Maure in der Kasbah des Oudaias, wo die Sonne
hell durch die feinen Holzgitter fiel und eine Brise vom Meer den Duft von Rosen mitbrachte. Ich hatte eine kleine getigerte Katze beobachtet, die zwischen den Tischbeinen einem Blatt nachjagte, während Idriss still Robs letzten Brief las. Ich brachte es nicht fertig, ihn vorzulesen. Es war, als wäre er getränkt von Unglück, und ich hatte Angst, dass irgendeine Katastrophe einen von uns oder gar uns beide ereilen könnte, wenn ich Robert Bolithos letzte Worte laut aussprechen müsste.
»Glaubst du eigentlich an Geister, Idriss?«, fragte ich plötzlich.
»Natürlich. Afrits und böse Geister begleiten uns ständig. Wir sprechen nicht gern über sie, denn es stachelt sie nur noch mehr an.«
Ich erzählte ihm von Andrew Hoskin, von dem Gifthauch der Verzweiflung, der sich des Hauses bemächtigt hatte, von dem Gefühl der Panik, das mich auf dem Dachboden befallen hatte, als ich die Familienbibel für Alison suchte. Die Familienbibel, in der Robert Bolithos Briefe versteckt gewesen waren.
Dann fiel mir wieder ein, wie ich sie schließlich gefunden hatte: in einer verstaubten Kiste, die eindeutig seit sehr langer Zeit nicht mehr geöffnet worden war. Wie konnte es dann sein, dass Andrews Abschiedsbrief - ausgerechnet Andrew, der nicht den geringsten Sinn für Bücher oder Altertümliches gehabt hatte - so sehr an Robert Bolithos letzte Worte erinnerte? Ich schauderte, als spürte ich die kalte Hand der Vergangenheit im Nacken.
» Khamsa oukhmiss .« Idriss klopfte auf das Holz des Tisches - ein bemerkenswert universeller Schutz gegen das Unglück!
»Ich bin froh, dass ich Anna das Buch mitgegeben habe. Allmählich glaube ich, dass auf dieser Geschichte ein Fluch lastet, so als würde sich die Vergangenheit fortsetzen und immer mehr Menschen ins Unglück stürzen. Tregennas, Pengellys, Bolithos - meine gesamte kornische Familie scheint darin verwickelt zu sein.«
» Habibi «, sagte er und nahm meine Hand, »es gibt tausendundeinen Grund, warum Menschen sich das Leben nehmen, so wie es unzählige verschiedene Menschentypen auf der Welt gibt. Die Muster mögen sich wiederholen, trotzdem sind wir nicht ausschließlich Spielbälle des Schicksals. In unserer Kultur glaubt man, dass jedem Menschen immer nur das abverlangt wird, was innerhalb seiner Möglichkeiten liegt.«
»Für den armen Robert hat das offensichtlich nicht gestimmt und für Andrew auch nicht. So viel Wut und so viel Enttäuschung!« Ich stützte den Kopf in die Hände und empfand ein unendliches Mitgefühl für beide. Nach einer Weile fragte ich: »Glaubst du, dass wir Menschen die Sünden unserer Vorfahren erben?«
Idriss drehte meine Hand um und folgte mit seinem Finger den Linien darin. »Im Islam gibt es so etwas wie die Erbsünde nicht. Jede Seele kommt hell und rein zur Welt, frei von Schuld. Es gab einen Sündenfall,
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