Die Zehnte Gabe: Roman
gebildet war, und nach dem, was sie am Anfang erklärt, hatte ihre Herrin sie ins Herz geschlossen und unterstützt.« Ich hielt inne und betrachtete, was ich geschrieben hatte. »Ägypten ist weit weg von Cornwall«, meinte ich skeptisch. »Bist du sicher, dass sie das geschrieben hat?«
»Es ist ein altes Wort für Zigeuner - sie glaubten, sie kämen aus Ägypten. Für manche traf das sogar zu.« Sie hielt inne. »Hast du gerade Cornwall gesagt?«
Ich hatte vergessen, dieses kleine Detail zu erwähnen. »Ach ja. Sie heißt Catherine Anne Tregenna - Cat, nach ihren Initialen - und arbeitete im siebzehnten Jahrhundert in einem Herrenhaus, übrigens irgendwo hier in der Nähe. Ken … soundso.«
»Kenegie?«
Ich sah sie überrascht an. »So heißt es, ja. Mein Gott, kennst du es etwa?«
Alisons Augen weiteten sich. »Es ist ein elisabethanischer Landsitz, wir befinden uns innerhalb seiner alten Grenzen. Tatsächlich hatten wir sogar haufenweise Plunder aus dem Herrenhaus auf unserem Dachboden. Lieber Himmel, dieses Buch
muss fast vierhundert Jahre hier verbracht haben. Wahrscheinlich hat sie auf diesem Grundstück gelebt!«
Ein Schauer lief mir über den Rücken. »Gibt es diesen Landsitz noch?«
Alison zögerte. »Er ist vermutlich nicht das, was du erwartest.«
Ich sah sie an und wartete.
»Er ist … nun ja, das alte elisabethanische Haus ist noch erhalten, obwohl es mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit modernisiert ist. Man hat teure Apartments daraus gemacht.« Sie schnaubte verächtlich. »Als fielen gerade Scharen von aufstrebenden Führungskräften in Penzance ein. Und der Rest ist jetzt so eine Art Feriendorf.«
»Ein was?« Ich war entsetzt.
Sie breitete die Arme aus. »Man kann es den Leuten nicht vorwerfen. Cornwall ist die ärmste Grafschaft von ganz England. Ihm bleibt nur der Tourismus und die Fischerei, Letzteres kaum der Rede wert, angesichts der EU-Beschränkungen und der ausländischen Fabrikschiffe. Die Leute hier müssen ihr Geld auf jede erdenkliche Art verdienen.«
»Ja, vermutlich.« Das Bild, das sie malte, unterschied sich deutlich von dem, das ich in Erinnerung gehabt hatte.
»Wir könnten ja später einmal hingehen, dann siehst du selbst.«
»Hmmm«, sagte ich unverbindlich. Scharfe profane Splitter bohrten sich in die Illusion, die ich mir fröhlich zurechtgesponnen hatte. Cats heimliche kleine Notizen hatten mir eine Flucht aus den unerfreulichen Tatsachen meines Lebens ermöglicht. Wenn ich an dem Ort herumschnüffelte, an dem sie gelebt hatte, würde ich sie mit Alison teilen müssen, und ich merkte, dass ich Cat mit niemandem teilen wollte.
»Wie war der Name noch?«, murmelte sie und blätterte zum Titelblatt zurück. Dann leuchteten ihre Augen auf. »Catherine Anne Tregenna … Weißt du was, ich glaube, wir haben irgendwo
Tregennas in der Familie. Besser gesagt, ich bin ganz sicher. Tregunna. Oder war es Tregenza? Ich kenne einen Gemüsehändler in Penzance namens Tregenza. Außerdem gibt es das Tregenna Castle in St. Ives. Ich frage mich, ob wir mit denen verwandt sein könnten? Ich habe doch irgendwo eine Familienbibel -« Sie brach ab.
»Was ist?«
»Sie liegt auf dem Dachboden«, sagte sie ausdruckslos.
»Oh.« Ich hätte ihr anbieten können, sie zu holen, aber mir war nicht danach.
»Irgendwann muss ich ja doch wieder da hoch …« Sie ließ den Satz in der Schwebe, als läge es an mir, ihn zu beenden.
Ich sagte nichts, spürte jedoch ihren Blick auf mir wie ein Gewicht.
»Ich gehe«, überwand ich mich schließlich. »Wenn du mir sagst, wo ich nachgucken soll.«
Als ich hinaufging, stand Alison auf dem Absatz am Fuß der Treppe und krallte sich mit beiden Händen an den Pfosten.
Der Dachboden war genauso hell und luftig wie der Rest des Hauses, nur viel unordentlicher. Ein riesiges, in die verborgene nördliche Dachschräge des Hauses eingelassenes Velux-Fenster ließ jede Menge Tageslicht herein, wofür ich unglaublich dankbar war. Über eine Seite zog sich Andrews Schreibtisch, auf dem sich die Papiere türmten. Der Computer stand mit leerem Bildschirm da wie ein Vorwurf. Seit mindestens vierzehn Tagen hatte ihn niemand mehr angeschaltet. Der Abschiedsbrief, so hatte Alison erzählt, hatte am Monitor gelehnt. In der Mitte des Raums verlief ein riesiger Holzbalken. Ein Stück Seil hing noch daran, dessen Ende von einem scharfen Messer abgetrennt worden war - durch die Polizei, vermutete ich. Alison hatte gesagt, dass sie es nicht über sich gebracht
Weitere Kostenlose Bücher