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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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honigfarben, sauber und unversehrt, aber bereits mit den Holz eigenen
natürlichen Knoten und Spiralen versehen. Niemand von uns war vollkommen, und das Leben hatte uns nicht geschont. Meine Augen füllten sich mit Tränen des Selbstmitleids.
    »Ach ja«, sagte sie sanft, als sie merkte, dass ich verstummt war. »Er war eben immer ein Scheißkerl.«
    Okay, darüber waren wir uns einig. Ich erzählte ihr von unserem letzten gemeinsamen Abendessen vor der Trennung. »Er hat mir ein Buch zum Abschied geschenkt. Warte, ich zeig es dir.« Ich kramte in meiner Handtasche und zog den Stolz der Stickerin hervor.
    »Liebe Güte«, sagte sie nach einer Weile und drehte es hin und her. »Ich bin ziemlich sicher, dass es eins aus dem Stapel war, den Andrew vor ein paar Wochen auf dem Dachboden gefunden und Michael geschickt hatte, damit er es für uns verkauft. Ich bin sogar ganz sicher, denn es war eins von zweien, und das kam mir komisch vor. Wie verrückt, dass es jetzt bei dir gelandet ist.«
    Diese Äußerung traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Er hatte das Buch also nicht einmal für mich gekauft und obendrein Andrew und Alison um das betrogen, was sie dafür hätten bekommen können, indem er es mir schenkte. Ich fühlte mich grässlich. »O Gott. Vielleicht willst du es zurückhaben.« Ich zögerte. »Oder kann ich es dir bezahlen?«
    »Sei nicht blöd. Es gehört dir. Es ist ohnehin verschandelt, schau mal. Wahrscheinlich hätte er es in diesem Zustand gar nicht verkaufen können.« Sie starrte auf Catherines winzige, mit Bleistift geschriebene Buchstaben, bis sie plötzlich den Atem anhielt. »Moment mal«, sagte sie, »hast du das geschrieben?«
    »Nein!« Es schockierte mich, dass sie glaubte, ich könnte ein so schönes, altes Objekt beschädigen.
    »Es ist bloß … na ja, deine Handschrift ist der hier ziemlich ähnlich.«
    Ich runzelte die Stirn. »Tatsächlich?«

    »Abgesehen von dem komischen langen ∫ und den Schnörkeln, ja. Es ist jedenfalls keine typische Sekretärinnenschrift, sie ist schwungvoller, freier in der Form. Sieh mal hier, wie das g sich aufschwingt, genau wie deins. Und sie - ich vermute, es war eine Sie - setzt die Pünktchen auf dem i immer ein kleines bisschen zu weit rechts, genau wie du.« Sie hielt das Buch gegen das Fenster und kniff die Augen zusammen. »Oder hier - dieses kursivea - kein Mensch, den ich kenne, schreibt sein a so.«
    Ich schreibe mein a so, wie es in Büchern gedruckt ist, statt das übliche o mit Schwänzchen. Mein Stirnrunzeln verstärkte sich.
    »Das ist wirklich komisch. Es ist mir überhaupt nicht aufgefallen. Aber trotzdem bin ich nicht so sicher, dass du recht hast.«
    Alison schob ihren Stuhl vom Tisch zurück und ging ins Esszimmer. Als sie zurückkam, hatte sie ein Notizbuch und einen Bleistift dabei. Mit einem Messer von der Küchenanrichte feilte sie ihn nadelspitz.
    »So«, sagte sie und schob das Notizbuch und den Bleistift quer über den Tisch auf mich zu. »Fang an. Schreib etwas, schreib so klein wie in dem Buch.«
    »Was soll ich denn schreiben?«
    »Was du willst - nein, warte.« Sie schlug das Buch aufs Geratewohl auf, hielt es ein wenig schräg und studierte die Seite aufmerksam. »Schreib folgendes: ›Eine alte ægyptische Frau kam heute an die Tür der Spülküche.‹ Und ›ægyptisch‹ mit einem Diphthong.«
    »Einem was?«
    Alison verdrehte die Augen. Trotz der wilden Jahre an der Uni hatte sie ein gutes Examen gemacht und mich liebevoll immer als eine Art intellektuelle Niete angesehen. »A und e gehen ineinander über, Dummchen. ›Eine alte ægyptische Frau kam heute an die Tür der Spülküche. Sie saß auf -‹. Das Nächste kann ich nicht lesen.«

    Ich nahm ihr das Buch aus der Hand. »Ich glaube, es heißt ›einem Maultier‹.« Ich gab es ihr zurück.
    »- und war höchst fremdartig mit Glöckchen und Schleiern geschmückt. Ihr Gesicht und die Hände waren geschwerzt‹ - geschwärzt mit e.«
    Gehorsam schrieb ich alles auf. Als wir dann meine Version neben die von Catherine hielten, waren sie sich ähnlicher, als ich erwartet hätte, das musste ich zugeben. Aber »meine ist schräger, und die vertikalen Striche sind länger«, beharrte ich störrisch.
    »Du hast einfach größer geschrieben als sie. Sie musste es irgendwohin quetschen, wo gerade Platz war. Immerhin ist es erstaunlich, dass sie überhaupt schreiben konnte. Sie ist doch keine Adlige, oder?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich glaube, dass ihre Mutter

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