Die Zehnte Gabe: Roman
ob du mich einlässt oder nicht.«
Cat wich einen Schritt zurück. »Was für Schwierigkeiten?«
»Für die Antwort darauf würde ich mir etwas zu beißen ausbitten, mein Kind«, antwortete die Ægypterin, sog schnüffelnd die Luft ein wie ein kleiner Mops und setzte dann einen Fuß über die Schwelle.
»Nein, nein, komm lieber mit«, sagte Cat rasch, ehe die Situation außer Kontrolle geriet. Sie schlüpfte aus der Tür der Spülküche, ließ sie eingeklinkt und zerrte die Frau hinter sich her zum Garten, außerhalb der Sichtweite der Küchenfenster. Die Alte setzte sich auf die Bank unter dem Apfelbaum und streifte mit einem tiefen Seufzer ihre gewaltigen Lederschuhe von den Füßen. »Trügerisch wie die Schlange im Paradies«, jammerte sie, betrachtete sie finster und rieb sich mit ihrer großen Hand die Fußballen. Die Hand sah aus wie eine Kralle. »Ich habe sie in Exeter mit gutem Silber bezahlt, und schon in Plymouth hingen sie in Fetzen.« Sie verstummte und richtete sich dann auf. »Ich glaube, in Penzance brauche ich neue Schuhe.«
Als Cat nicht antwortete, verdrehte die alte Frau die Augen. »Sei ein gutes Mägdelein, gib mir eine Silbermünze, und ich sage dir die Zukunft voraus.«
Cat hielt den Atem an. »Bist du eine Hellseherin? Kannst du
einem jungen Mädchen aus der Hand lesen und ihm sagen, wie sein Leben verlaufen wird?«
»Die Geister haben mich mit dieser Gabe ausgestattet«, sagte die alte Frau bescheiden. »Allerdings wirkt eine Silbermünze dabei Wunder.«
»Ich habe keine Silbermünze, aber ich könnte dir etwas zu essen besorgen, wenn du Hunger hast. Wir haben gerade frisches Brot gebacken.«
Die alte Frau schnaubte empört. »Soll ich etwa Brotlaibe an meinen alten Füßen tragen?«
Cat wünschte sich nichts mehr, als ihre Zukunft zu erfahren. Aber erst einen Tag zuvor hatte sie ihre letzte Münze der Mutter übergeben und würde erst am nächsten Montag wieder Lohn erhalten.
»Das Brot ist gut«, drängte sie. »Und im Topf kocht Weizenbrei.«
Bei der Erwähnung von Weizenbrei setzte sich die Alte noch gerader auf. Sie warf Cat ein breites, etwas schräges Lächeln zu, das den Blick auf eine merkwürdige Reihe von Zähnen freigab. »Ah, Weizenbrei - nun, das lobe ich mir. Aber wenn deine Zukunft von guten Geistern beschützt werden soll, dann achte darauf, dass er eine tüchtige Portion geistige Getränke enthält, hörst du, mein Kind?«
Cat rannte zurück in die Spülküche und fragte sich, wie um alles in der Welt sie eine Schale Weizenbrei herausschmuggeln sollte, ohne erwischt zu werden.
»Wer war das?«, rief Margaret Harris scharf, als Cat in die Küche zurückkehrte.
»Eine hungrige alte Frau«, antwortete Cat und wich ihrem Blick aus.
»Noch so eine Vagabundin, bestimmt will sie unsere Vorräte mopsen«, gluckste die Köchin.
Cat richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. »Es ist eine arme alte Frau, sie geht gebückt und reitet das hagerste Maultier auf
Erden. Ich habe sie im Schatten des Obstgartens auf eine Bank gesetzt.«
Margaret Harris trat ans Fenster und blickte hinaus auf das unglückliche Tier neben dem Baum. »Gott, steh uns bei, das Vieh frisst meinen Lavendel! Kate, lauf sofort zum Hof und sag dem jungen Will, er soll es da wegschaffen und ihm etwas Gerste geben.« Dann drehte sie sich zu Cat um. »Du kannst der alten Frau einen Brotlaib von gestern bringen und Wasser aus dem Brunnen schöpfen. Bettler dürfen nicht allzu wählerisch sein.«
Cat griff nach einer Kanne, doch Lady Harris hielt sie zurück. »Benutz deinen Verstand, Kind: Dieses wandernde Volk schleppt alle möglichen Krankheiten aus den Städten mit. Wir wollen uns doch nicht die Pocken oder die Pest ins Haus holen. Bestimmt hat sie einen eigenen Becher.«
Dann verließ Lady Harris eilig die Küche, als hätte sich ihre Zofe allein durch den Wortwechsel mit der Landstreicherin bereits angesteckt.
Cat schnappte sich eins der zwölf frischen runden Brote, die zum Abkühlen auf einem Gitter lagen, wo die Köchin und Nell sie zuvor hingelegt hatten. Dann nahm sie ungeachtet der Gefahr eine alte Zinnschale und tauchte sie rasch in den Topf mit dem brodelnden Weizenbrei. Der Krug mit dem Rum stand auf dem Boden; sie hob ihn auf und kippte einen großzügigen Schuss in die Schale und obendrein über ihre Schuhe.
»Verflixt!« Jetzt müsste sie die Schuhe am Brunnen abwaschen oder den ganzen Tag nach Alkohol stinken, was ihrem ohnehin ramponierten Ruf nicht gerade zuträglich wäre. Sie
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