Die Zehnte Gabe: Roman
einverstanden?«
Matty sah bewundernd zu ihm auf. »Du bist ein guter Mann, Robert Bolitho. Cat weiß gar nicht, was für ein Glück sie hat.«
Der Nebel war noch immer undurchdringlich, als sie aus der Einfahrt auf die Straße abbogen, die steil zum Meer abfiel. Er lag wie ein Schleier über der Landschaft, unter dem sich die Hitze staute; man bekam kaum Luft. Solche Nebelbänke über dem Meer waren kein seltenes Phänomen im kornischen Sommer, doch bei Catherine löste der dichte Dunst auf der Fahrt nach Penzance klaustrophobische Gefühle aus. Sie hatte den Eindruck, von den Hecken ringsum erdrückt zu werden. Die Samenkapseln des Ampfers schimmerten rostrot wie altes Blut. Die hohen Stängel des Fingerhuts trugen keine Blüten mehr, als hätte eine böswillige Hand sie abgerissen. Sie warf einen verstohlenen Blick auf ihren Vetter, auf sein kräftiges, stumpfes Profil und einzelne Strähnen des ungebändigten strohblonden Haars, die unter dem Hut hervorlugten. Würde sie es ertragen, jeden Morgen dieses Gesicht auf dem Kopfkissen neben sich zu sehen, Tag für Tag, Jahr für Jahr, während hinter ihrem Cottage die Kühe im Stall muhten, die Möwen auf dem Dach kreischten
und ihre Welt von diesem immer gleichen, kleinen Horizont beherrscht wurde? Etwas in ihrem Innern verkrampfte sich. Bis zu dem Tag, an dem Sir Arthur ihr diese Ehe aufgezwungen hatte, war Rob ein Freund gewesen; nun aber hielt sie es kaum aus, neben ihm im Wagen zu sitzen. Vor den Leuten galten sie bereits als Paar. Die verheißungsvollen Worte der Zigeunerin hatten sich als falsch entpuppt: In einem Monat wären Rob und sie Mann und Frau, denn das Aufgebot war bestellt, und Lady Harris hatte ein Dutzend Meter Musselin gekauft, so weiß wie die Dunstschwaden, die heute die Landschaft verschleierten, beim besten Tuchhändler der Stadt (zufälligerweise Cats Onkel, Edward Coode, sodass es zweifellos ein gutes Geschäft gewesen war). Bisher hatte sie sich noch nicht dazu durchringen können, mit der Arbeit zu beginnen. Ein Hochzeitskleid, das man mit dem Wunsch nähte, es wäre ein Leichentuch, würde ganz bestimmt nicht die Zuversicht ausstrahlen, die man für ein ganzes Eheleben braucht. Am schlimmsten jedoch war, dass sich ihre einzige Aussicht auf Flucht - der Besuch der Countess of Salisbury bei ihrer Herrin - zerschlagen hatte. Sie hatte bereits zwei Wochen an dem Altartuch gestickt, als am letzten Donnerstag ein Kurier den Brief von Catherine Howard gebracht hatte, in dem sie erklärte, dass sie den Sommer auf dem Familiensitz in Marlborough verbringen würde und die Hoffnung äußerte, im Herbst ihren Gemahl begleiten zu können, wenn er käme, um den Mount zu inspizieren und über die Beschaffung neuer Waffen zu sprechen. Am selben Abend hatte Cat das Altartuch zusammengefaltet unter das Bett gelegt und seitdem nicht mehr angerührt.
Während der Einspänner über die Küstenstraße rollte, blickte sie hinaus auf die wolkenverhangene Bucht. St. Michael’s Mount zeigte sich nur als vager Schatten. Es herrschte Flut, doch nichts regte sich auf dem Wasser: Die Boote waren für den Rest des Tages vertäut, und selbst die Seevögel hatten den Kopf unter die Flügel gesteckt. Cat spielte mit einem losen Fädchen am Ärmel.
Normalerweise hätte sie es längst mit sauberen kleinen Stichen vernäht, sodass niemand außer ihr selbst die gestopfte Stelle bemerkt hätte, doch sie hatte weder die Energie noch den Willen aufgebracht, sich darum zu kümmern. Nun, da über ihr Schicksal entschieden worden war und es keine Hoffnung mehr auf ein Entkommen gab, fühlte sie sich ebenso düster und unbestimmt wie das Schloss auf der Insel: ein leeres, lebloses Ding, gefangen in unruhiger See.
Die Straße führte um den Hafen am Kai entlang, an den Lagerhäusern, Fischständen und St. Anthony’s Well vorbei und stieg dann steil die Quay Street zur St. Mary’s Chapel auf der Landspitze an. Unterwegs überholten sie einen Strom von Gläubigen, der sich den Hügel heraufbewegte, zweifellos nur, um sich den neuen Prediger anzuhören. Er war Puritaner und hatte den weiten Weg aus Liskeard auf sich genommen, wie Cat gehört hatte, und das machte sie noch mutloser: Ihr Onkel war erst kürzlich konvertiert, und nun bestand er als Familienoberhaupt darauf, dass alle seinem Beispiel folgten. Viele, die auf dem Weg zur Kapelle waren, trugen schlichte Kleidung und nicht alle, weil sie arm waren, so Cats Verdacht. In der Ferne sah sie, wie der beleibte alte
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