Die Zehnte Gabe: Roman
Ratsherr Polglaze und seine ebenso füllige Frau Elizabeth sich keuchend und schnaufend die Straße heraufschleppten. Auch sie trugen Schwarz, das nur von weißen Spitzenkragen und Ärmelaufschlägen aufgelockert wurde. Die Ironie dabei war, so schoss es ihr durch den Kopf, dass sie vor einigen Jahrzehnten genauso ausgesehen hätten wie die spanischen Katholiken, die sie derart verachteten, mit ein bis zwei Halskrausen mehr oder weniger. Sie fuhren am Wachtmeister Jim Carew vorbei und dem alten Thomas Elly mit seiner Frau Alice, dem Schiffbauer Andrew Pengelly und dessen Sohn Ephraim, an Thomas Samuels und seiner Schwester Anne, der Hoskens-Familie aus Market-Jew und dem alten Henry Johns, dem das große Haus unweit von Lescudjack gehörte. Es sah ganz so aus, als hätte der Prediger großen Zulauf. Dann rief jemand
ihren Namen, und Cat wandte sich um. Auf der anderen Straßenseite stand Jack Kellynch und grinste wie ein Haifisch über das ganze Gesicht.
»He, Rob Bolitho, du siehst aus wie ein echter Gentleman, wie du mit deiner Zukünftigen an uns vorbeikutschierst. Oh, und die arme Matty muss ganz allein hinten sitzen!« Damit sprintete er über die Straße, griff mit beiden Händen nach dem Wagenschlag des Einspänners, schwang sich über das Rad hinauf und ließ sich neben dem errötenden Hausmädchen auf den Rücksitz fallen.
Cat drehte sich um und musterte ihn ernst, obgleich sie über seine Bemerkung kochte. »Welche Überraschung, dich hier zu sehen, Mister Kellynch. Bei deiner Erziehung und deinem sündigen Lebenswandel solltest du lieber im Beichtstuhl sitzen, als dir die Predigt eines Aufwieglers anzuhören.«
Jack lachte. »Nicht dass mein alter Herr dich hört, sonst legt er dich übers Knie und bläut dir höchstpersönlich gottesfürchtige Manieren ein, Mistress Catherine. Nicht mal meine Mutter kann ihm seine Begeisterung für den Prediger ausreden. Ah, seht nur, da sind sie ja. Na los, Matty, wink ihnen zu wie eine richtige Königin!«
Fast am Ende der Quay Street überholten sie Isacke Kellynch, gefolgt von seiner kleinen dunklen Frau Maria, ihrem zweiten Sohn Jordie und der Tochter Henrietta, die von allen nur Chicken genannt wurde. Matty hob verlegen die Hand. Ihr Gesicht glich mittlerweile einer Roten Bete. Einen Augenblick starrte Isacke Kellynch auf den vorbeifahrenden Wagen, dann fielen ihm fast die hellen blauen Augen aus dem Kopf. »Steig sofort von dieser Karosse ab«, fuhr er seinen Sohn an, »wozu hat der liebe Gott dir Beine gegeben?«
Doch Jack warf nur den Kopf zurück und lachte.
Auf dem Gipfel des Hügels zog Robert die Zügel an, sprang hinunter und half Cat beim Aussteigen. Er nahm sie am Ellbogen und wartete, bis Jack und Matty in der Menge verschwunden
waren. Cat zog unwirsch den Arm zurück. »Jetzt ist Matty ohne mich hineingegangen, und alle werden sie wegen Jack necken. Dabei weißt du genau, wie sie ihn anhimmelt und dass er bloß mit ihr spielt. Ihm bedeutet sie nichts, und ihr bricht es das Herz!« All das sprudelte in einem Schwall aus ihr heraus.
Rob warf ihr einen verwunderten Blick zu. »Du kennst Jack Kellynch nicht besonders gut, was?«
»Ich weiß nur, dass er ein Bandit und Freibeuter ist, einer von diesen feinen Nachtschwärmern, auf die in jedem Hafen ein Mädchen wartet.« Und obendrein viel zu schneidig und hübsch für eine dumme Gans wie Matty, dachte sie bei sich.
»Da irrst du dich«, sagte Rob und schüttelte den Kopf. »Du bist dermaßen starrsinnig in deinen Ansichten, Catherine, dass du manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht siehst.«
»Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass ich mir die Predigten dieses Langeweilers anhören muss, jetzt kommst du auch noch an.«
»Wenn du mich nicht hierhaben willst, gehe ich wieder. Trotzdem wird Jack Matty heiraten, noch ehe das Jahr um ist. Denk an meine Worte.« Er kramte in seiner Tasche und zog ein kleines, in blaue Seide gewickeltes Päckchen heraus. »Hier. Das wollte ich dir schenken. Du kannst es später auspacken, in Gegenwart deiner Familie, oder allein, wenn dir das lieber ist.«
Ihre Finger schlossen sich um das Geschenk. Unter der Seide fühlte es sich fest und hart an. »Was ist es denn?«
»Ein Zeichen unserer Verbindung. Es gehörte meiner Mutter, und die hatte ihn von meiner Großmutter«, antwortete er knapp. »Sie hätte dich gemocht, auch wenn du dir nichts aus mir machst.« Er schob das Kinn vor. Es kostete ihn einiges, diese Wahrheit auszusprechen, aber wenn Sonntag nicht
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