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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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Frauen und Kinder aus einer Kirche in Mount‘s Bay getrieben und als Gefangene entführt« hatten. Mehrere Sekunden saß ich zitternd da. Immer wieder las ich den Eintrag, um sicher zu sein, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Dann nahm ich das kleine Buch heraus, das Michael mir geschenkt hatte, legte es auf den Tisch und starrte es an, während ich das Gefühl hatte,
von den gespenstischen Fäden der vielen Synchronizitäten eingeholt zu werden. Hier saß ich in einer Bibliothek in Penzance, Mount’s Bay, die linke Hand auf dem weichen Ledereinband einer außergewöhnlichen Autobiografie aus dem siebzehnten Jahrhundert und die rechte auf dem harten, glatten Kunststoff einer Computermaus. Alte und neue Technologie, verbunden durch eine menschliche Brücke, die sich über vier Jahrhunderte Geschichte spannte. Und mit einem Schlag begriff auch mein Kopf, was mein Herz längst akzeptiert hatte: dass Catherine Anne Tregenna tatsächlich von ruchlosen Piraten aus der Sonntagsmesse entführt worden war, um fünfzehnhundert Meilen und zwei Kontinente entfernt auf einem Sklavenmarkt für Weiße verkauft zu werden.
    Genau in diesem Augenblick, als hätte die aus dieser Verbindung entstandene Spannung irgendwie eine weitere emotionale Kluft überbrückt, klingelte mein Handy. Es war Michael.
    Ich hätte es einfach abstellen und ihn schmoren lassen sollen, aber die ärgerlichen Blicke ringsum versetzten mich in Panik. Ich rannte aus dem Lesesaal und meldete mich.
    »Hallo?«
    »Warum bist du einfach so weggelaufen? Und was sollte diese Bemerkung, wir hätten uns längst verabschiedet? Das hat gesessen.«
    Ich hätte beinahe gelacht. »Soll das heißen, du bist verletzt? Und was ist mit mir? Du warst derjenige, der mich sitzen gelassen hat, nicht umgekehrt. Du hast kein Recht, verletzt zu sein.«
    »Ich weiß, ich weiß, aber ich habe mich geirrt. Ich hätte das niemals tun dürfen.«
    »Niemals was tun dürfen?«
    »Ich hätte mich niemals von dir trennen dürfen. Ich schaffe es nicht, Julia. Ich kann nicht ohne dich leben. Du fehlst mir.«
    Jede verlassene Frau träumt davon, dass ihr ein Mann so etwas sagt. Jede verlassene Frau lernt ein paar mörderische Sätze
auswendig, um das Insekt, das auf diese Weise wieder zurückkrabbeln will, zu zerquetschen. Unglücklicherweise fielen sie mir in diesem Augenblick nicht ein. Alles, was ich in einem grässlichen, schmachtenden Winseln herausbrachte, war: »Ist das wahr?«
    »Komm heute Abend ins Hotel. Komm her und iss mit mir zu Abend. Du könntest über Nacht bleiben, wenn du willst.« Und dann machte er noch einen sexuellen Vorschlag, der kleine Pfeile der Begierde durch meine Lenden jagte.
    »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre …«, sagte ich.
    »Vielleicht ist es keine gute Idee, aber eine, die bei uns immer funktioniert hat. Und danach kannst du mir zum Einschlafen Stickereianleitungen aus deinem kleinen Buch vorlesen.«
    Es war, als hätte er mich mit einem Eimer kalten Wassers übergossen. »Das kann ich nicht«, sagte ich fest. »Es ist zu schnell, du hast mich zu sehr verletzt. Ich muss darüber nachdenken, was ich will, was gut für mich ist. Und ich glaube, es wäre keinesfalls gut, die Nacht mit dir zu verbringen. Mach einen langen Spaziergang und nimm eine kalte Dusche. Wir sehen uns morgen.«
    Am ganzen Leib zitternd beendete ich die Verbindung und schaltete dann das Handy ganz ab. Als ich an meinen Platz in der Bibliothek zurückkehrte, entdeckte ich, dass die Internetverbindung abgestürzt war.

VIERZEHN

    CATHERINE
    1625
    Wir befinden uns auf hoher See seit mehr als zwei Wochen, doch wenn wir Sallee lebendig erreichen, käme das einem Wunder gleich, gefangen zwischen aufgewühltem Meer, Hunger, Krankheiten & Grausamkeit unserer Entführer. Schon sind einige von uns verloren, vornehmlich drei Kinder & zwei Männer, die vor uns gefangen und bei ihrer Entführung aus Plymouth verwundet worden waren. Erst heute starb die alte Mrs. Ellys endlich an Schwäche & Schock über den Verlust ihres armen Mannes, doch niemand hat ihre Leiche geholt; sie liegt im Koot & trägt zum Gestank das Ihrige bei. Meine Mutter ist krank & ich kann ihr nicht helfen. Wir haben weder Licht noch frische Luft & werden geplagt von Fliegen & Gewürm & ich habe Ratten unter den Planken des Schiffs entlanghuschen hören. Es ist gut, daß sie uns nichts zu essen geben, sonst wären Schmutz & Ungeziefer noch schlimmer. Niemand der uns itzo sähe, käme darauf, daß wir nicht alle

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