DIE ZEIT City Guide Lissabon
bereits gesucht hatte, um etwas zu tun, was selbst in Luxushotels leider mehr und mehr aus der Mode gerät: den Gast zu seinem Zimmer zu führen. Dort angekommen, öffnete sie die Tür und verabschiedete sich. Ich warf zunächst einen Blick ins Bad, in dem große Kacheln von Portugals Seefahrergeschichte erzählten. Dann stand ich vor dem Doppelbett des Turmzimmers, in dem schon Barbra Streisand geschlafen hatte. Von dort sah ich direkt auf eine Glastür, hinter der man ein paar Stufen hinunter- und ein paar wieder hinauflaufen musste, um schließlich ganz oben auf dem Dach eines Turmes zu stehen. Der Graf hatte sich den Turm seinerzeit als Garderobenzimmer errichten lassen. Er liebte es, den Blick über Lissabon schweifen zu lassen, während ihn seine Bediensteten für den Tag ankleideten. Rechts erkannte ich die rote Hängebrücke über dem Tejo, geradeaus schimmerte das Wasser des Flusses in der Sonne, links reichte die Sicht über die Dächer der Nachbarschaft bis hin zur Altstadt.
Es dauerte ein wenig, bis ich nachts einschlief. Barbra Streisands Song
Night of my life
rauschte durch meine Ohren. Und als ich am nächsten Morgen noch etwas benommen zum Frühstück lief und mich setzte, kam Simão Vaz, lächelte und legte mir eine Zeitung auf den weiß gedeckten Tisch.
Die Quadratur des Lichts
Wer in Lissabon den Azulejos folgt, kommt dabei dem Strahlen der Stadt auf die Spur.
VON KARIN CEBALLOS BETANCUR
Es fängt an mit einem stillen, seidenmatten Glanz, der vom weißen Pflaster entlang der Avenida da Liberdade aufsteigt, durchbrochen von schwarzen Ornamenten. Dann, auf dem Hauptplatz, Rossio, und in den Straßen, die ihn umgeben, züngelt ein Leuchten an den Fassaden, frisst sich vorbei an Fensterläden und Balkonen, bis zum Himmel. Oben, in den alten Quartieren auf den sieben Hügeln, flackert das Licht schließlich wie kaltes Feuer an den Flanken der Gassen. Diese Stadt leuchtet nicht nur, sie strahlt. Lissabons Licht ist eine Offenbarung.
Vielleicht wirst du dich nicht gleich nach deiner Ankunft fragen, woran es liegt, dass dieser Ort so außerordentlich funkelt. Du wirst einfach den Glanz genießen und dich ein wenig wundern, weil er neben dir her zu fließen scheint, während du über die Hügel streifst, steile Treppen bezwingst und mit gelben Straßenbahnen um die Wette läufst. Am nächsten Morgen aber, wenn du anfängst, nach dem Ursprung des Lichts zu suchen, wirst du vor einer Mauer landen. Weil es die glasierten Gebäudefronten sind, die jeden Sonnenstrahl in kleine Blitze brechen.
Niemand kann sagen, wer als Erster auf die Idee kam, sein Haus mit Fliesen, Azulejos, zu schmücken. Aus der Ferne betrachtet, wirken sie wie farbige Tapeten. Als sei die Straße der Salon und der Spaziergänger ein jederzeit willkommener Besucher. Überliefert ist, dass die Kacheln ursprünglich ein Privileg des Adels und des Klerus waren. Anfang des 16. Jahrhunderts schwappte die architektonische Mode von Nordafrika über Spanien nach Portugal. Und weil die Fliesen teuer waren, behielt man seine Schätze für sich, im Gebäudeinneren. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit der Entwicklung des Siebdrucks, kam das Leuchten über die gesamte Stadt. Blüten, Rauten und Bordüren verließen die Wohnungen und gingen auf die Straße, die Wände hoch. Der Trend währte nur wenige Jahrzehnte. Aber das reichte aus, um Lissabons Gesicht für immer zu verändern.
Du kannst die Azulejos hinnehmen wie buntes Beiwerk, ein Blumenfeld, von dem man beim Spaziergang kaum Notiz nimmt. Doch wenn du es genauer wissen, dem Leuchten auf den Grund gehen willst, musst du nach Madragoa fahren, in den Westen der Stadt, ins Biotop der Farben und der Muster.
In keinem anderen Viertel Lissabons sind die Fliesen so gut und so vielfältig erhalten. Die schmalen Häuser stehen dicht an dicht, jede Fassade wird zum Exponat. In der Rua da Esperança, der Straße der Hoffnung, haben die Nummern 94 und 98 nach dem Erdbeben von 1755 zusätzliche Stockwerke bekommen. Madragoa, auf festem Grund gebaut, nahm damals Flüchtlinge aus dem zerstörten Zentrum auf. Die Kachelhaut ebnet die Übergänge im Mauerwerk, bringt die Wunden der Geschichte zum Verschwinden wie ein Pflaster. Unwillkürlich streckst du die Hand aus, um über die warme Keramik zu streicheln. Bis du bemerkst, dass winzige Scherben an deinen Fingern kleben bleiben. Und erschrocken die Hand zurückziehst.
Schräg gegenüber erstreckt sich ein Gebäude über die
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