DIE ZEIT City Guide Lissabon
her Frauensache. Während die Männer zur See fahren, bieten die Frauen und Töchter den frischen Fang in der Markthalle feil, bewehrt mit marineblauen, abwaschbaren Schürzen und jenem nassforschen Humor, den Fischhändler in aller Welt gemeinsam zu haben scheinen.
Seit Fernando Pessoa hier vor hundert Jahren zu flanieren pflegte, hat sich das bunte Treiben kaum geändert: "Es erscheinen die Fischfrauen im gehenden Laufschritt, und die schwankenden Bäcker, Ungeheuer mit Körben, deren Farben stärker voneinander abweichen als ihr Inhalt. Die Milchmänner klappern mit den Blechkannen, und die Polizisten erstarren an den Kreuzungen, ein uniformiertes Dementi der Zivilisation in der unsichtbaren Bewegung des aufziehenden Tages."
Die Auswahl könnte auch im Oceanário, Lissabons kolossalem Aquarium aus dem Expo-Jahr 1998, nicht vielfältiger sein: Von fingerlangen Sardinen bis hin zu Rochen von der Größe eines Kopfkissens; von klotzartigen Thunfischstücken bis zu daumennagelkleinen Schnecken. Einige Spezies sehen, wie die Plattfische, denkbar skurril aus, andere furchterregend wie die getüpfelten Muränen oder die fast zwei Meter langen Degenfische, schillernde Tiefseekreaturen aus Madeira, die wie Kabel aufgerollt werden, um überhaupt Platz auf den Ständen zu finden.
Natürlich hat Vasco Lello als Küchenchef des Flores für den täglichen Bedarf seine Lieferanten. Aber einmal die Woche sieht er doch nach, was die Markthalle, der Bauch von Lissabon, gerade zu bieten hat. "Auch das ist eine Art Ritual für mich, und manchmal finde ich hier auch wirklich etwas Besonderes." Schließlich entscheidet er sich für Zwergtintenfische und Stachelmakrele als Vorspeise und einen mächtigen Zackenbarsch für den Hauptgang, dazu zweierlei Muscheln für das Risotto.
Im weichen Licht der Haupthalle, die wie ein Treibhaus anmutet, stehen die Obst- und Gemüsehändler Spalier und bieten das kulinarische Erbe der Kolonialzeit feil. Denn die Mehrzahl ihrer Produkte stammt ursprünglich aus Übersee. Gewürze etwa wurden im Zeitalter der Entdeckungsreisen ungleich reichlicher verwendet als heute. Portugiesische Seefahrer brachten Süßkartoffel, Paprika, Tomate und Zuckerrohr aus Lateinamerika, Yamswurzeln und Okra aus Afrika. Die Kokosmilch kam über das indische Goa nach Portugal, Ingwer und Koriander über das chinesische Macau.
Nach leutseligen Besuchen beim Käsemann und bei der Bäckersfrau steigt Vasco Lello schließlich, reichlich bepackt, die steilen Sträßchen wieder hoch ins Bairro Alto. In der engen Küche des Flores wäscht er eigenhändig die Muscheln und filettiert die Fische. Die Tintenfische bekommen, farblich passend, doch geschmacklich überraschend, Gesellschaft von violetten Süßkartoffeln. Koriander und Zitrone verfeinern das Risotto, auf dem dann das Zackenbarsch-Filet prangt.
Als Dessert hat er eine vollsaftige grellrote Kakifrucht ausgesucht – auch sie war ursprünglich ein Mitbringsel portugiesischer Seefahrer aus China – dazu Edelkastanien und eine Art lusitanischen Lebkuchen.
Das kleine Restaurant hat nur zwölf Tische, doch die sind fast immer umlagert. Vor allem mittags, wenn das Flores ein viergängiges Business Lunch anbietet, mitsamt Wein, Wasser und Kaffee, das ganze für wohlfeile 21 Euro. Dann geben sich hier Architekten, Schauspieler, Beamte und einige gutsituierte Touristen ein Stelldichein – die klassische Klientel des Bairro Alto.
Wer etwas auf sich hält und mehr Zeit hat, trinkt hinterher noch einen Jeropiga, einen süßen Tresterlikör, am wunderbar nostalgischen Kiosk auf der Praça Luis de Camões. Das Standbild des Poeten wacht über dem Platz, der
Eléctrico
rollt unermüdlich vorbei, und wer genau hinhört, fühlt das Herz von Lissabon ruhig und freudig schlagen.
Trost auf Schienen
Eine Fahrt in der Linie 28 kann sogar Liebeskummer heilen.
VON STEFAN NINK
Es war Februar, und eine Frau hatte mein Herz gebrochen, als ich zum ersten Mal in die Stadt am Tejo reiste, von der es heißt, hier sei die Melancholie zu Hause. In Deutschland regnete es seit Wochen, über Lissabon aber spannte sich ein unwirklich blauer Himmel. Ich hatte keinen Reiseführer eingepackt, Sehenswürdigkeiten interessierten mich nicht. Stattdessen schlenderte ich ziellos durch die Straßen und trank Portwein in Kneipen voller traurig aussehender Männer. In die Straßenbahn bin ich nur gestiegen, weil mir irgendwann am Abend die Füße weh taten.
Die
Carreira 28 dos Eléctricos de
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