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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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ins Lager herrschte plötzlich verdächtige Stille in ihrem Kopf. Sie blieb stehen und lauschte dem Rauschen der Böen, die durch die Äste der Bäume zogen. Irgend etwas geschah, genau in diesem Moment. Maramir konnte spüren, daß im Lager etwas Ungewöhnliches vor sich ging. Werferins plötzlich ertönender Kampfruf fuhr ihr schmerzlich durch die Glieder. Der Schrei riß urplötzlich ab, und Maramir wurde von blankem Entsetzen gepackt. Sie vernahm aufgeregte Stimmen und glaubte mitzubekommen, daß sich dort etwas schnell und zupackend bewegte, denn sie spürte die aufflammende Kraft, die der Wind mit den Stimmen zu ihr trug. Es war einer dieser alles verändernden Momente, die Maramir mittlerweile schon allzu gut kannte. Das Schicksal schlug ein weiteres Mal zu ... Aber diese Stimmen! Wie in einem Traum gefangen, lief sie los. Ihre Gedanken überschlugen sich. Zweige peitschten ihr in der ungestümen Eile ins Gesicht. Ihr schneller Atem stockte, als sie die roten Schöpfe ihrer Söhne erblickte. Jene beiden blauen Augenpaare überwogen in diesem Augenblick alles andere. Hastig übergab Maramir das Kind in ihren Armen Adlerkralle und umarmte ungestüm ihre Söhne. Dabei fiel ihr Blick auf den Fremden, der sie auf eine Weise ansah, die ihr geradezu unheimlich erschien. Er starrte ... Etwas an seinem Gesicht, seiner Statur, kam ihr vertraut vor. Der junge Jäger Ionech stand plötzlich vor ihr; die Kette mit dem Schneckenstein, den Maramir ihm geschenkt hatte, lag auf seiner nackten, von der Sonne gebräunten Brust, und seine Haltung war gerade, standhaft; sein Körper muskulös, sein Ausdruck klar, vertraut ... ohne Furcht. Ganz anders als der gekrümmte, alte Mann mit dem Stock, dessen Gesicht von tiefen Falten und leidgeplagtem Ausdruck gezeichnet war.
    „Maramir“, sagte er mit brüchiger Stimme.
    In dem Augenblick drohten Maramirs Beine zu versagen. Ein starkes Gefühl überkam sie, so, als hätte ihr jemand einen Dolch in den Bauch gestoßen und sie gleichzeitig dabei voller Liebe gestreichelt und geküsst. Sie nahm sein Gesicht in ihre zitternden Hände, und als sie die kullernden Tränen Ionechs sah, brach es aus ihr heraus. Bittere Tränen vergießend warf sie sich schluchzend in seine Umarmung. Dann trat auch noch Roter Wolf an sie heran und zeigte ihr das Auge des Mächtigen Bären. In dem Moment sank sie weinend, Ionech fest umschlingend, zu Boden. Er streichelte und küsste sie überschwenglich – bis Maramir eine tiefe Ruhe und angenehme Wärme spürte, ein Gefühl der Geborgenheit umhüllte sie. So verharrte sie eine Weile reglos in Ionechs Umarmung ... Ein Wolfswelpe tapste aufgeregt zwischen ihren Beinen umher und schnupperte an ihren Füßen. Roter Wolf packte ihn im Genick, nahm ihn hoch und setzte ihr den Welpen auf die Arme. Lebhaft stupste er ihr mit der Schnauze um den Mund, während seine kleine schleckende Zunge keine Ruhe gab.
    „Er hat seine Mutter verloren“, erklärte Roter Wolf.
    „Eine Wölfin kam zu uns“, übernahm Feuerhaar das Wort. „Wir haben ihr Geschenke gemacht. Danach besuchte sie uns wieder. Wir lernten die Sprache ihrer Augen. Und dann machte sie uns ein Geschenk: Sie führte uns zu ihren Jungen.“ Feuerhaar streckte dem Welpen das Gesicht hin. „Er ist uns gefolgt. Nun müssen wir für ihn sorgen!“ Die kleine, rauhe Zunge kitzelte unter seiner Nase. „Wenn er groß ist, werden wir zusammen jagen.“
    „Mutter, wo ist Kar?“ Roter Wolfs Stimme klang besorgt. Maramir schlug die Augen nieder. Ihr Blick fiel auf den Welpen, der in ihren Armen lag ... Eilig lief sie zu dem Felsen zurück, auf dem sie Kar zurückgelassen hatte, und der ganze Stamm folgte ihr. Aus der Ferne hörte sie das Lied der Ahnen, das hoffnungsverheißend und traurig zugleich die junge Nacht ankündigte. Kar lag, tief in ihr Fell gehüllt, auf dem Felsen. Sie schlief. Maramir rief ihren Namen und rüttelte schließlich an ihrer Schulter. Dann ergriff Maramir die Hand ihrer Schwester. Sie schlief - es durfte nicht anders sein! Als bräche ein Damm in ihrem Kopf, ergossen sich Tränen über ihr Gesicht. Die Verzweiflung raubte ihr fast den Verstand. All ihre Sorgen, ihre schlimmen Ahnungen, brauchte sie nun nicht länger zu unterdrücken. Sie besaß jetzt die Gewißheit, daß sie längst gewußt hatte, was passieren würde. Das Schicksal hatte sich nicht aufhalten lassen, alles Wehren war zwecklos geblieben. Kar war zu den Ahnen gegangen! Maramir öffnete das Fell, das Kars leblosen Körper

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