Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)
machen. Andere Stimmen setzten daraufhin in den wortlosen Gesang ein, und selbst der Wind schien ihren Gesang zu begleiten ...
Als die Feuer erloschen, tauchten sie in die tiefe Dunkelheit der verbleibenden Nacht ein ... Und der Wind, den sie spürten, wurde zu Kars Händen, die rauschenden Bäume ihre Stimme, und die Dunkelheit ihre sehenden Augen.
Bis zum Anbruch des Tages blieben sie wach und lauschten. Es war kalt geworden. Eng beieinander hockend, teilten sie Felle und Körperwärme. Und als schließlich das fahle Grau des Morgens die schwarze Nacht verdrängte, brach Roter Wolf das steinerne Schweigen.
„Kars Geist ist zu den Ahnen gegangen“, seine Stimme klang ruhig und sicher, „um uns den Weg zu zeigen! Denn die Ahnen wohnen nicht mehr im alten Tal. Sie haben den Bergwald verlassen und sind fortgezogen in ein neues Land.“ Roter Wolf machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: „Schuld daran ist das Volk der Riesen. Sie sind stark, und ihr Zauber ist mächtig. Sie jagen die Wölfe, töten die Ahnen und kleiden sich in ihre Felle. Es ist nicht mehr unser Land, und es gibt auch kein Tal der Ahnen mehr. Doch es gibt einen anderen Ort, und die Ahnen erwarten uns!“
Er blickte auf den steifen Leichnam. Der Wind strich Kars langes, schwarzes Haar über ihr bleiches Gesicht. Roter Wolf wischte sich die aufsteigenden Tränen aus den Augen und holte tief Luft. „Ich weiß nicht, wie dieser Ort aussieht, aber ich weiß, wo wir ihn finden werden. Dort müssen wir sie bestatten, damit sie in der Gestalt einer Wölfin in diese Welt zurückkehren kann. Sie wird das Leben der Wölfe leben und uns besuchen. Kar ist nun eine von ihnen. - Und sie hat zu mir gesprochen! Ihr Geist wird uns führen und beschützen auf unserem Weg, denn wir müssen den großen Strom überqueren, um dorthin zu gelangen.“
Er nahm Rennjawe von Maramirs Arm, hielt sie an seine Brust, so daß das kleine Mädchen sein Herz schlagen hören konnte, sah ihr ins hübsche Gesicht und roch an ihrem dunklen Haar, das, wenn die Sonne darauf schien, rötlich schimmerte.
„Ionech wird uns führen! Er ist weise und hat viel gelernt vom Volk der Riesen.“ Roter Wolf trat auf ihn zu. „Ionech ... führen Stamm durch Bergwald ... weg von Gro-mans-alta-noi“, sagte er in der Sprache seiner Ahnen und machte dabei eine Armbewegung, in der er seine offene Hand vom Körper wegführte, „hin zu große Wasser. - Ionech bauen Schwimmholz!“ Seine letzten Worte untermalte er mit Gesten, die den Bau eines Floßes andeuten sollten.
Ionech saß wie erstarrt, eingeengt zwischen den anderen und spürte, wie sich nun alle Augen auf ihn richteten, nachdem Roter Wolf, in offensichtlicher Erwartungshaltung, einen Schritt zurückgegangen war. Roter Wolf zitterte vor Kälte. Langsam stand Ionech auf und gab seinen Platz frei. Sofort wühlte sich Roter Wolf, mit dem Kind auf seinem Arm, in die Lücke zwischen Maramir, Feuerhaar und Werferin. Ionech ergriff seinen Stock, stützte sich darauf und sah in die fragenden Gesichter der Menschen, mit denen er diese Nacht verbracht hatte. Wer waren diese Menschen, mit ihrer flachen Stirn, den breiten Nasen, übermäßigen Augenwülsten und dem fliehenden Kinn? - Noch nie hatte er so häßliche Frauen gesehen. Ihre Arme und Beine waren so kurz, daß ihr ganzer Körper gedrungen und plump wirkte. Dunkel erinnerte er sich an jene Schädel, die Grauer Wolf einst wie Kostbarkeiten aufbewahrt und gehütet hatte; er erinnerte sich auch noch verschwommen an die Erzählungen über dieses Volk der Spitzgesichter. Er empfand eine unterschwellige Abneigung gegen sie. - Und die andere Frau mit dem Kind, ihr braunes, langes Haar lag in Strähnen über ihrem Gesicht, das er bislang nur teilweise hatte erkennen können; manchmal sah sie ihn auf eine Weise an ... Alle, einschließlich Maramir, Tartruh und Ruatedannan starrten ihn jetzt an, blickten ihm voller Erwartung entgegen. Roter Wolf hatte recht; hier in der Nähe der Gro-mans-alta-noi konnten sie nicht bleiben. Nur zu gut wußte er, was dieses Volk mit Menschen anderer Stämme machte. Jetzt, da er Maramir wiedergefunden hatte, mußte er sie und ihre Söhne von hier fortbringen.
„Gehen ... da lang!“ Er wies in jene Richtung, aus der die Zwillinge und er gekommen waren. Es war die Richtung, wo das Große Himmelsfeuer das Reich der Himmelswesen niemals berührte, jene Richtung, der auch das Wasser des großen Stromes folgte.
Aus Ästen, Ranken und Kars Fell bauten sie eine
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