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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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Feuerhaar glaubte, einen Kopf zu sehen, erkannte Schnauze und Ohren. Es war tatsächlich ein Wolf. Eine ungeheure Spannung lag in der Luft, und zwischen Vorsicht, Angst und stiller Freude mischte sich das starke Gefühl einer ganz besonderen Liebe ... Da waren sie wieder, die leuchtenden Augen in der Dunkelheit. Sie wanderten auf und ab, während der Wolf, sich scheu duckend und dann wieder neugierig den Hals reckend, nervös hin und her schlich.
    Ionech war es schließlich, der vom Rand der Glut einen abgenagten Knochen aufnahm, der von dem erbeuteten Marder stammte, und es wagte, auf den Wolf zuzugehen. Die leuchtenden Augen tauchten in die Dunkelheit ein und verschwanden. Ionech warf den Knochen ein Stück weit in Richtung des Wolfes und setzte sich wieder an seinen Platz zurück. - Es dauerte nicht lange, und die leuchtenden Augen erschienen wieder. Aus dem Dunkel trat zögernd die Gestalt des Wolfes hervor, und jeder spürte, wie kostbar und zerbrechlich dieser ganz besondere Moment war, in dem die Wölfin Ionechs Geschenk annahm.
     
     
       
       

 
    15. Kapitel
     
    Ein rauher Wind pfiff, und die grauen Wolken hingen so tief, daß sie die Gipfel der umliegenden Bergkuppen schluckten. Kars Gesicht war gerötet vom Fieber, und ihr langes Haar wehte wild um Augen und Nase. Ihr starrer Blick, der ganze Ausdruck ihres hageren, faltig verhärmten Gesichts verriet eine tiefe Trauer und ließ erkennen, wie verzweifelt sie sein mußte. Kars Seele schien an einen kalten, düsteren Ort zu wandern, und Maramir begriff mit schmerzlichem Kummer, daß sie selbst zu niedergeschlagen und kraftlos war, um ein helles, wärmendes Feuer der Hoffnung für ihre Schwester zu entzünden, an dem sie gemeinsam Platz nehmen konnten. Oft hatten sie nun schon in der Dämmerung eines vergehenden Tages hier gesessen, auf einer langen Felsnase, die zwischen den Bäumen des Waldes über einen gähnend tiefen Abgrund hinausragte und die Sicht auf das darunter liegende Tal und die benachbarten Hänge und Berge ermöglichte. Viele Tage warteten sie nun schon auf die Wiederkehr von Roter Wolf und Feuerhaar; und an ebensovielen Tagen hatten sie vergeblich darauf gewartet, endlich ein Zeichen der Ahnen zu erhalten. Manchmal hörten sie in der Dämmerung oder des Nachts das traurige Lied der Wölfe, und Maramir fragte sich dann jedesmal, von welchem verborgenen Ort ihr klagendes Lied wohl in diese Welt gelangte.
    Maramir nahm Kars Hand. „Komm! Laß uns zurückgehen! Es ist kalt.“ Schließlich griff sie unter das Fell, in das Kar sich gehüllt hatte und holte Rennjawe hervor. Ihr kleiner Körper war schon ganz verkrampft vor Kälte. Die Kleine begann zu japsen und zu röcheln, bis sie schließlich lauthals zu schreien anfing; es gefiel ihr überhaupt nicht, aus dem Schlaf gerissen zu werden und den Platz an der vertrauten Brust ihrer Mutter zu verlassen. Maramir packte Rennjawe unter das lange Bärenfell, das über ihren Schultern lag. Sie ergriff erneut Kars Hand ... aber Kars Blick blieb starr und ihre Hand fühlte sich kalt und leblos an. Maramir spürte Kars schmerzende Wehmut, als sie ihre Schwester betrachtete und allmählich begriff, daß sie ihr keine Beachtung schenkte; ihr Geist reiste. Es war einer dieser beunruhigenden Zustände Kars, die Maramir Zeit ihres Lebens erschreckt und Furcht eingeflößt hatten. Sie fühlte eine unwirkliche Kälte auf ihrem Körper entlangkriechen, und das Verlangen, Kar zu schütteln, wuchs - ja, sogar ihre Schwester zu schlagen, war sie beinahe bereit, nur um sie aus diesem Zustand zu reißen. Doch aus Furcht vor dem Unbekannten und jenen Dingen, die sie nicht verstand, wagte sie es nicht. Maramir sah Kar einfach nur an. In all den Jahren, die sie Seite an Seite verbrachten, hatte es gute und schlechte Zeiten gegeben, Streit und Zorn, aber auch Versöhnung und zärtliche Berührungen. Über viel Geschehenes hatte sich Nebel ausgebreitet und die Erinnerungen verschleiert; Zorn und Freude waren vergangen, doch es blieb die Liebe, die uneingeschränkte Liebe, die so alt war wie ihr schlagendes Herz. Maramir zog das Fell enger um Rennjawe, streichelte Kar sanft über den Kopf und stand auf. „Ich komme zurück“, flüsterte Maramir und wandte sich von ihrer Schwester ab. Aus irgendeinem Grund schnürte es ihr die Kehle zu, und sie verstand die aufsteigenden Tränen nicht. Sie verstand nur, daß Rennjawes Körper sich kalt anfühlte und ans warme Feuer gebracht werden mußte.
    Auf halbem Weg zurück

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