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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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umhüllte, und legte sich zu ihr. Sie nahm ihre Schwester in den Arm und schloß die Augen. Daß Werferin ihren Fellumhang auszog, sie liebevoll damit zudeckte und sich zusammen mit Feuerhaar und Roter Wolf zu ihr hockte, nahm Maramir schon nicht mehr wahr. Sie spürte weder die Berührungen ihrer Kinder, noch den kalten, rauhen Wind, der rauschend die Äste der Bäume bog. Leise hörte sie das Lied der Ahnen, und in ihren Gedanken brannte das Große Himmelsfeuer warm und hell. Es war die Zeit der aufgehenden Knospen. Ihre ältere Schwester nahm sie an der Hand und führte sie durch den frisch duftenden Wald. Kar lächelte dabei und fuhr ihr mit der anderen Hand über den Kopf. Sie roch schon den Rauch des nahen Lagers und hörte die Stimmen von Frauen und Kindern – und ganz deutlich hörte Maramir nun die Stimme ihrer Mutter, wie sie ihren Namen rief. Sie sah schon die ersten vertrauten Gesichter ihres Stammes, als sie etwas Feuchtes, Warmes in ihrem Gesicht spürte. Ihr Traum verflog, und Maramir schlug die Augen auf. Ein tapsiger, kleiner Wolf bedrängte sie geradezu ... Plötzlich wußte Maramir, daß ihre Reise noch warten mußte. Feuerhaar schob seine kräftigen Arme unter ihren Körper und nahm sie hoch.
    Roter Wolf hingegen setzte Kar auf, hockte sich hinter sie, klemmte ihr Becken zwischen seine Beine und hielt sie fest in seinen Armen. Kars Augen waren geschlossen, und dennoch wußte jeder, daß sie sah. Roter Wolf starrte ins Tal hinunter und saß einfach nur bewegungslos da. Die zunehmende Dunkelheit der anrückenden Nacht ließ die Bilder dieser Welt verblassen. Eine stille und tiefe Niedergeschlagenheit beherrschte sie alle. Auch Ionech war sehr betroffen; statt Freude empfand er nun Trauer, in die sich eine unheimliche Furcht mischte: mächtige Geister schienen gewirkt zu haben. Und eine Zeitlang hatte es den Anschein, als müßten sie erst lernen zu glauben, was sie mit eigenen Augen sahen. - Kars Körper war ohne Leben.
    Als Werferin sich Kar schließlich mit der Absicht näherte, den Leichnam ins Lager zum wärmenden Feuer zu bringen, ergriff Roter Wolf ihren Arm und bat sie zu gehen ... Alle sollten sie gehen. Er befahl es, und jeder akzeptierte seinen brennenden Wunsch, ein letztes Mal mit Kar allein zu sein ...
     
    Die Nacht war dunkel, mondlos; die Sterne blieben verborgen. Bäume rauschten und das Holz ihrer Stämme und Äste knarrte unter der Kraft des Windes. Durch Felsspalten fegten zischend die Böen, und die Flammen der züngelnden Feuer kämpften dagegen an, fortgeblasen zu werden. Es schien, als wären die mächtigen Himmelswesen selbst gekommen, um Kars Seele – ihr Lebensfeuer, in das Reich der heiligen Feuer zurückzuholen. Zwischen die lähmende Trauer mischte sich Furcht, denn es sah so aus, als ob in der Dunkelheit noch dunklere Schatten im Wald umherschlichen - und niemand zweifelte daran, daß es Totengeister waren. Auf einem hohlen Stück eines verwitterten, gebrochenen, beinlangen Astes schlug Werferin einen trägen Takt und Tanzt Viel sang schleppend ein Klagelied, das der Wind rücksichtslos zerriß und verwehte. Tanz und Gesang waren in dieser Nacht der unzähligen Augen nicht von Bedeutung. Die Anwesenheit der Mächte verdeutlichte, wie schwach und unbedeutend sie im ungleichen Verhältnis zu ihnen standen. Es wirkten Kräfte, die weit über ihre eigenen hinausgingen.
    Wie ein Geist tauchte Roter Wolf, mit wehenden Haaren und kaltem Blick, aus der Dunkelheit auf. Er brachte Kar zurück an die Feuer ihres Stammes. In seinen Armen hielt er den Leichnam und blickte in die Augen der erwartungsvollen Gemeinschaft. Eine seltsame Kraft ging von ihm aus, und ein Schleier des Unwirklichen lag über ihm. Die Anwesenheit der Ahnen war so stark zu spüren, daß man ihre unheimlichen Silhouetten in der Dunkelheit, hinter Maramirs Sohn, nahezu erkennen konnte. Ohne ein Wort zu verlieren, trat Roter Wolf näher, und je tiefer er ins Licht der Flammen tauchte, desto mehr verlor sich seine übernatürliche Hülle. Kars Leiche lehnte er in Hockstellung an einen Felsen, so daß sie zwischen ihnen saß und der Schein des Feuers über ihr Gesicht tanzte.
    „Sie hat zu mir gesprochen!“
    Wie das Grollen eines Donners hallten Roter Wolfs Worte in den Köpfen der Gemeinschaft nach. - Er legte alles Holz auf, das sie gesammelt hatten, und begann mit geschlossenen Augen, laut zu summen. Dabei klatschte er in die Hände und wankte hin und her. Er schien sich auf den Weg in eine andere Welt zu

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