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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Menez
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und Ruhnocko entdeckt hätte, wollten sie sich gerade, noch unbemerkt, zurückziehen, als die Alte und die Mutter mit ihrem Säugling das Ufer verließen und die Kindfrau alleine am Bach zurückließen. - Von hinten schlich er sich an sie heran, während Ruhnocko durch Rascheln im Dickicht und dem nachgeahmten Laut eines balzenden Rothalses ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte, packte sie mit der Linken gewaltsam am Schopf, riß ihr den Kopf in den Nacken, schlang seinen rechten Arm um ihren Hals und drückte ihr die Luft ab. Als er das Gefühl hatte, daß sie gleich ersticken würde, lockerte er seinen Griff, ließ sie ein paar Mal Luft holen und schleppte sie dann im Würgegriff fort. Keuchend und röchelnd rang sie unterdessen nach Luft; zu schreien war ihr nicht gelungen. Mit einem Schlag ins Gesicht hatte er schließlich ihre Gegenwehr unterbunden und sie gefügig gemacht. - So war es ihnen gelungen, den Fremden eine Frau zu rauben, die seinem Stamm Kinder schenken, ihm und den anderen Männern Freude bereiten und den Frauen beim Gerben und Nahrung sammeln helfen sollte.
    Im Land der Winterlager, so weit stromabwärts, hatte er diesen Stamm nicht vermutet. Wegen der früh einsetzenden Kälte, Eis und Schnee, waren die Fremden den großen Herden entgegengewandert und hatten, nicht weit entfernt vom Lager seines eigenen Stammes, ein Winterlager errichtet.
    Nach einigen Tagen Suchmarsch waren Ionech und Ruhnocko auf Spuren gestoßen und hatten das fremde Lager gefunden. Zunächst beobachteten sie es mehrere Tage lang. Sie sahen alte Männer und Jungen, etliche Frauen und Kinder, jedoch verhältnismäßig wenig Männer im reifen Alter.
    Erste Begegnungen folgten; flüchtige, ungewollte Begegnungen, die von Angst und Mißtrauen bestimmt waren und dennoch friedlich verliefen. Die Begegnungen häuften sich, Neugier besiegte schließlich Furcht und Argwohn. Eine Gruppe Jäger kehrte nicht zum Stamm zurück; und so teilten er und Ruhnocko ihre Jagdbeute mit einigen Frauen des Lagers. Alsbald schon lernte er mehr und mehr von der fremden Sprache und vergaß allmählich den herben Verlust des eigenen Stammes; nachdem er und Ruhnocko, alles was von seinem Stamm übrig geblieben war, der Schlucht im Land seiner Vorfahren, dem Tal der Ahnen, übergeben hatten.
    Viele Warm- und Kaltzeiten lebte er mit dem fremden Stamm. Mit Stolz und Wehmut erinnerte sich Ionech an jene Zeit. Damals war er ein großer Jäger gewesen, dessen Wort dasselbe Gewicht besessen hatte, wie das der Ältesten. Es war eine gute Zeit gewesen ... bis die Gro-mans-alta-noi gekommen waren und Ruhnocko, vier weitere Männer und die Alten getötet und alle anderen verschleppt hatten. Er sah an seinem Bein hinunter und erinnerte sich daran, als wäre es gerade erst passiert, wie sie ihm unter unerträglichen Schmerzen und Qualen bis zur Bewußtlosigkeit, den Fuß abtrennten, damit er ihnen nicht entkommen konnte. Die Gro-mans-alta-noi hatten ihn gebrochen, ihm Stolz, Mut und Stärke genommen - bis er das erste Mal in Tartruhs Gesicht geblickt hatte und etwas verloren geglaubtes wiedergekehrt war; etwas, das ihn entschlossen und furchtlos handeln ließ. Dieses Mal würde er lieber sterben, als sich noch einmal von den Gro-mans-alta-noi gefangen nehmen zu lassen.
    Ein Rascheln ließ sie plötzlich aufhorchen. Roter Wolf bereute, daß er Lanze und Speer am Ufer zurückgelassen hatte, als er Feuerhaar und Ionech durch das Unterholz folgen und sich schließlich in den Fluß werfen mußte.
    „Mähnenkatzen?“, flüsterte er.
    „Keine Mähnenkatze!“, wisperte Ionech, „keine Mähnenwölfe ...“ Ionech lauschte. „Das ... auch kein Wolf!“
    Angespannt horchten sie. Das plötzliche Quieken eines Tieres zerriss die Stille der angebrochenen Nacht, woraufhin Ionech gelassen den Stock ergriff, den er die ganze Zeit über neben sich liegen hatte, aufstand und loshumpelte. Als er in die Dunkelheit eintauchte, hörte man ein Fauchen; dumpfe Schläge – dann wurde es still. Ionech trat wieder in das spärliche Licht des nahezu niedergebrannten Feuers: in seiner Hand baumelte ein frisch erlegter Marder. Ohne ein Wort zu verlieren, zerlegte er die Beute. Die Zwillinge beobachteten ihn dabei stillschweigend und fragten sich verwundert, was sie wohl noch alles von ihm lernen konnten.
     
    Das einfallende Licht der Sonne, das in dünnen, geraden Linien und zarten Schleiern den Waldboden traf, verstärkte eine eigenartige Vision, die Maramir lange vor der Morgendämmerung

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