Die Zeit der hundert Königreiche
aber sei vorsichtig mit den Leroni . Sie spüren, daß etwas an dir merkwürdig ist.« Er stieß ein kurzes, bellendes Lachen aus. »Etwas Gutes ist schon an Varzils gottverlassenem Vertrag. Wir könnten kämpfen, ohne dieses elende Zauberer-Korps bei uns zu haben, falls dieser Vertrag je wirksam wird!«
»Ich dachte, du und Meister Gareth wäret Freunde und du verließest dich auf ihn.«
»Das schon«, antwortete Bard. »Er kennt mich, seit wir Jungen waren, meine Pflegebrüder und ich. Aber trotzdem würde ich gern auf seine Dienste verzichten und es ihm gönnen, sein Alter hübsch friedlich in einem Turm zu verbringen. Wenn in diesem Land wieder Frieden herrscht, wird Alaric dem Vertrag vielleicht doch beitreten. Mir gefällt der Gedanke nicht, daß meine zukünftigen Untertanen aus ihren Häusern gebombt werden. Und dort unten, wo im letzten Jahr Knochenwasserstaub versprüht worden ist, melden die Hebammen, wie ich hörte, daß Kinder ohne Arme oder Beine oder Augen, mit gespaltenem Gaumen oder einem hinten durch die Haut ragenden Rückgrat geboren werden. So etwas sieht man sonst nicht zweimal in einem Jahr, und dort sind es Dutzende – da muß ein Zusammenhang bestehen! Und Männer und Frauen sterben an verdünntem Blut. Das schlimmste ist, daß es immer noch gefährlich ist, durch diese Gegend zu reiten. Ich vermute, das Land wird auf Jahre hinaus, vielleicht eine oder zwei Generationen lang, verseucht sein. Es ist zuviel Zauberei am Werk!«
Wie war es ihnen gelungen, fragte Paul sich, allein durch Geisteskräfte radioaktiven Staub herzustellen? Denn das, was Bard beschrieb, war bestimmt irgendein Strahlungsprodukt. Nun, wenn mit Laran alles andere zu bewerkstelligen war, von dem er bereits wußte, konnte es nicht besonders schwer sein, Moleküle in ihre Atome aufzuspalten und diese zu schweren radioaktiven Elementen neu zusammenzusetzen.
Er stellte trocken fest: »Und gegen diese Art von Laran bin ich bestimmt nicht immun!«
»Nein, das glaube ich auch nicht. Dein Geist mag immun sein, aber dein Körper unterscheidet sich nicht von anderen. Doch es gibt Fälle, in denen du immun bist und ich nicht, und deshalb habe ich eine Aufgabe für dich. Serrais Kraft ist gebrochen. Ich hörte heute, daß sich die Aillards nach der Bombardierung Halis dem Vertrag angeschlossen haben. Das bedeutet, daß alle diese Länder südlich der Ebenen von Valeron, insgesamt zwölf oder dreizehn Königreiche, nur darauf warten, erobert zu werden. Und deshalb mußt du mir einen Gefallen tun.« Stirnrunzelnd blickte er zu Boden. »Ich möchte, daß du zum See des Schweigens reitest und Carlina zurückholst. Der See wird durch Zauberei bewacht, aber das wird dir nichts ausmachen. Du kannst ihre Verteidigungen durchdringen und ihre Illusionen ignorieren und Carlina für mich entführen.«
Paul fragte: »Wer ist Carlina?« Aber er kannte die Antwort schon, ehe Bard sie aussprach.
»Meine Frau.«
4
Der Morgen graute über dem See des Schweigens, und auf der Heiligen Insel zog eine lange Prozession von Frauen am Ufer entlang, von dem bienenkorbförmigen Tempel zurück zu ihren Behausungen. Sie alle waren schwarz gekleidet und hatten die Köpfe verhüllt, und am Gürtel hing ihnen das sichelförmige Messer der Priesterinnen.
Die Priesterin Liriel, die in der Welt als Carlina, Tochter König Ardrins, bekannt gewesen war, schritt still unter ihnen dahin, und ein Teil ihres Geistes hörte noch das Morgengebet:
»Deine Nacht, Mutter Avarra, weicht vor dem Morgen und der Helligkeit des Tages. Aber zu Deiner Dunkelheit, o Mutter, müssen alle Dinge eines Tages zurückkehren. Wenn wir Deine Werke der Barmherzigkeit im Licht tun, laß uns nie vergessen, daß alles Licht einmal schwindet und nur Deine Dunkelheit bleiben wird …«
Aber als sie in das große Gebäude eintraten, das aus mit Lehm beworfenem Flechtwerk errichtet war und den Speisesaal der Priesterinnen darstellte, wandten sich Carlinas Gedanken anderen Dingen zu. Denn sie war an der Reihe, in der Halle zu helfen. Sie hängte ihren schweren, dunklen Mantel an einen Haken im Flur und ging in die große Küche, wo sie ihren schwarzen Rock und ihre schwarze Jacke mit einer weißen Schürze bedeckte, ein weißes Tuch um ihren Kopf band und den Brei auszuteilen begann, der die ganze Nacht in einem großen Kessel über dem Feuer gekocht hatte. Als aller Brei in Holzschüssel gelöffelt war, schnitt sie lange Brotlaibe auf und legte die Scheiben auf ein Brett. Sie füllte
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