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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Kopp
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Stadt erobern. Der Abschied von meiner Schule in Obergräfenhain fiel mir sowieso nicht besonders schwer. Der Einzige, den ich vermissen würde, war mein Geschichts- und Russischlehrer, Herr Pfefferkorn. Ich freute mich immer auf den Unterricht bei ihm, weniger wegen des Fachs, sondern weil er immer so vor der Tafel herumhampelte, dass ich lachen musste. Und den Bäckerladen würde ich vermissen, da gab es für ein paar Groschen das beste Milchbrot, das ich je gegessen habe. Schokostreusel gab es in dem kleinen Laden auch, tütenweise habe ich das Zeug in mich hineingestopft. Aber sonst? Meinen Freund Sven würde ich vielleicht noch vermissen, mit ihm habe ich das erste Mal die Schule geschwänzt. Wir sind einfach im Zug sitzen geblieben, so lange, bis uns der Schaffner an die Luft gesetzt hat. Aber das war lange her, Kinderkram, vorbei. Leipzig konnte kommen, bright lights, big city .
    Die Wohnung, die meine Mutter in der Baumannstraße 6 für uns fand, gefiel uns. Obwohl es kein Badezimmer gab und Sandra und ich uns ein Zimmer teilen mussten, schien uns alles besser, als in Rathendorf zu versauern. Wir krempelten die Ärmel hoch, tapezierten und strichen die Wohnung gemeinsam. Ich glaube, das war die Zeit, in der wir am meisten zusammen gelacht – und geheult haben. Die Zeit, in der wir drei uns am nächsten waren.
    Die ersten Wochen und Monate in Leipzig waren aufregend. Alles war neu! Statt mit dem Fahrrad oder zu Fuß ging es nun mit der Straßenbahn zur Schule. Nach dem Tod meines Vaters waren meine schulischen Leistungen in den Keller gerasselt – eine Bestätigung, dass die Mandy ja eh nichts auf die Reihe kriegte. Hier war ich ein unbeschriebenes Blatt, Strohkopf ade. Ich fing mich schulisch tatsächlich einigermaßen, fand Anschluss und bekam sogar die üblichen Zettelchen während des Unterrichts zugeschoben. Einige von ihnen habe ich bis heute aufbewahrt: »Willst du mit mir gehen? Kreuze an: ja, nein, vielleicht.« Harmlos, aber meiner Mutter war selbst das schon ein Dorn im Auge. Die ersten Verabredungen nach der Schule, das ging ja gar nicht. Kind, wir sind hier in der Stadt! Als dann auch noch das Schminken hinzukam, bekamen wir regelmäßig Streit. Das ist Sünde! Dein Vater hätte das nicht durchgehen lassen. Gott sieht alles!
    Mir war das inzwischen egal. Für mich war Gott mit meinem Vater gestorben.
    Als ich klein war, kniete ich fast jeden Abend brav vor meinem Bettchen und betete. Dafür, dass es uns allen gutging, dass wir gesund blieben und dass es auch im nächsten Herbst genug Kirschen geben würde, mit deren Kernen man so schön weit spucken konnte. Ich glaubte daran, dass Gott mich erhörte, wenn ich nur von Herzen darum bat, wenn ich es ehrlich meinte. Als mein Vater krank wurde, war ich in meinen Gebeten so ehrlich wie noch nie. Aber ER hat mich trotzdem im Stich gelassen.
    Manchmal habe ich mir in dieser Zeit gewünscht, dass anstelle meines Vaters meine Mutter gestorben wäre. Ich wünschte ihr in manchen Momenten tatsächlich den Tod, auch wenn ich das nicht gepackt hätte. Aber ich hasste sie einfach für alles. Dafür, dass sie während unserer Kindheit manchmal so hart gewesen war. Dass sie Regeln setzte, wo mein Vater nachsichtig gewesen war. Ohne Regeln geht es nicht, das weiß ich heute, als Kind habe ich das nicht verstanden. Sie weckte uns jeden Morgen, wir hatten fünf Minuten Zeit, dann mussten wir angezogen sein und »antreten«, wie meine älteren Geschwister das nannten. Bettenkontrolle. Wenn das Laken nicht glatt gezogen war, musste das Bett noch mal gemacht werden. Und wenn der Schrank nicht ordentlich war, riss sie alles aus den Fächern und schmiss es auf den Boden. Äußerer Halt, weil ihr selbst der innere fehlte.
    Ich weiß noch, wie sie eines Tages wütend durch das Haus brüllte und uns alle antanzen ließ. Wie die Orgelpfeifen standen wir vor ihr in der Küche. »Wer hat den Pudding gegessen?« Ihre Blicke durchbohrten uns. Das hohe Gericht hatte zur Vernehmung bezüglich des perfiden Süßspeisediebstahls einberufen. Wir waren Staatsfeinde, hatten ein Puddingkomplott geschmiedet.
    Meine Geschwister bestanden darauf, es nicht gewesen zu sein, ich sagte nichts, hätte es ohnehin nie gewagt, den Pudding zu klauen. Meine Mutter musterte uns mit kaltem Blick, dann ging sie aus der Küche. Jeder wusste, was das zu bedeuten hatte. Die Tür zur Besenkammer wurde aufgezogen, energische Schritte hallten zurück durch den Flur. Kathi, die Älteste, die nie etwas

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