Die Zeit-Moleküle
Sie mir nichts. Ich weiß auch so, was draußen vorgeht. Ersparen Sie mir die schockierenden Einzelheiten. Gott sei Dank mache ich Fortschritte in meiner Arbeit. Die Sonne scheint. Es ist gut, auf Gottes guter Erde noch am Leben zu sein. Das ist alles, was wir wissen oder wissen müssen.«
Der Professor lief zu seiner Assistentin und drückte ihr die Rolle mit dem Computerband in die Hand. »Hier haben Sie die Beschleunigungssequenz für das Experiment Nr. 3376. Ich hoffe, wir können abfahren.«
Ohne auf eine Antwort von Liza zu warten, wendete er sich wieder seinem Besucher zu.
»Sie werden beeindruckt sein. Die Startphase haben wir jetzt vollkommen in den Griff bekommen. Selbst bei organischen Stoffen. Eine wesentliche Verbesserung seit unserer letzten kleinen Vorführung, wenn ich mich noch richtig erinnere. Aber ich hätte Ihnen längst eine Tasse Kaffee anbieten sollen. Liza, eine Tasse Kaffee für Mr. Silberstein!«
Liza fädelte erst sorgfältig das Band ein, ehe sie sich der Kaffeemaschine zuwendete. Liza verstand es meisterhaft, mangelnde natürliche Anmut durch Fürsorge und Sorgfalt zu ersetzen.
»Die Dosierung der Bremskraft beim Wiedereintritt macht uns augenblicklich Schwierigkeiten. Sie scheint schwieriger zu sein, als ich mir das vorgestellt hatte. Theorie und Praxis sind eben leider zwei Paar Stiefel … Doch wie geht es Ihnen eigentlich, alter Freund? Mir kommt es vor, als hätte ich Sie schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Was sage ich – seit Wochen nicht mehr! Tja, ich mache mich rar. Meiner Frau gefällt das überhaupt nicht. Sie meint, das schade der Gesundheit und wäre unfair den anderen gegenüber. Aber die Zeit drängt. Sie ist unersetzlich. Und immer die Hoffnung, daß das nächste Experiment endlich den entscheidenden Durchbruch bringt.«
Der Professor eilte auf die Startbühne und prüfte Brennweiten und Skalen, während er, ab und zu über die Schulter blickend, weiter Konversation machte. David Silberstein hörte nicht mehr zu, nahm dankend die Tasse mit dem heißen Kaffee entgegen, die Liza ihm reichte. Sie tauschten miteinander einen Blick, waren sich einig in ihrem amüsierten Bedauern. Dann trat Liza neben den Professor auf die Bühne. David sah ihr zu, wie sie Skalen ablas und mit den Angaben verglich, die sie säuberlich in Listen eingetragen hatte. Offenbar hatte sie diese Prüfung schon einmal gewissenhaft vorgenommen. Doch sie zeigte keine Spur von Ungeduld, die die Harmonie stören konnte. Sie war nicht schon, wie es ihr auch an natürlicher Anmut fehlte, doch sie glich das durch Hingabe und Aufmerksamkeit für jedes Detail aus. Aber sie übertrieb nicht. Ihre Bescheidenheit rührte den maßvollen David Silberstein in der Tiefe seiner keuschen Seele. Sie war ein Wunder. Zu traurig, daß er bereits fünfundvierzig war und sie erst sechsundzwanzig. Traurig, aber kein unüberwindliches Hindernis.
Silberstein wendete sich ab und überließ den Professor seinen Skalen und dem technischen Wechselgesang mit seiner Assistentin.
Das Laboratorium besaß ein riesiges Fenster, das auf die Bucht hinausblickte und sich von außen dem Betrachter als Atelier eines profilierten Künstlers darbot. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, wenn man durch das Glas die Knöpfe eines kleinen Bohn-446-Computers und die Hebel einer verstellbaren Bühne schimmern sah. Selbst die Pulsgeneratoren und Beschleuniger – falls man sie von draußen hätte sehen können – hätten durchaus Werkzeuge eines Bildhauers sein können, der mit Hologrammen experimentierte. Und die Startbühne ähnelte wirklich sehr der Bühne einer Akademie, auf dem das Modell, von einigen Scheinwerfern neugierig beleuchtet, saß.
In dem gegebenen Fall war das Modell ein schlichter Holzstuhl. Allerdings, überlegte David Silberstein, mit Schattierungen eines van Gogh. Ein altmodisches Stück, aber nicht antik. Er bestand aus solidem Ulmenholz, war unbemalt und zeigte nur Spuren von Fett an Lehne und Sitz. Nägelköpfe schimmerten am Rand der Sitzfläche, wo die Beine mit dem Sitzgestell verbunden waren. Die Zahl der Molekularstrukturen, die dieser Stuhl darstellte, war in der Tat riesig. Wenn man nun schon den Start einer so großen Kombination beherrschte, konnte man wirklich von Fortschritt sprechen.
Die Laboratoriumsuhr schlug in rascher, vehementer Folge die siebenundzwanzigste Stunde. Diese Uhr veräppelte sich selbst, war eine riesige, komplizierte Karikatur des Dorfes und der Zeit. Die Vorderwand der Uhr füllte
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