Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeit-Moleküle

Die Zeit-Moleküle

Titel: Die Zeit-Moleküle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
Vom Netzwerk:
eigentlich alle in diesem Dorf einem kostspieligen Schwindel aufsaßen.
    »Wo der Stuhl sich befindet? Nirgends. Oder, falls Ihnen das lieber ist, dort, wo er immer war, nur in einem anderen Zustand. In einem Zustand der chronomischen Harmonie.«
    »Wann können wir ihn zurückerwarten?«
    »Wir geben den Entpufferungs-Werkstoffen nur eine kurze Lebensdauer. In diesem Fall drei Minuten. Unser Problem ist der Austritt und Wiedereintritt. Wenn wir diese Phasen fest in den Griff bekommen haben, ist die Dauer der chronomischen Harmonie an sich bedeutungslos.«
    »Wenn Sie von der chronomischen Harmonie sprechen, meinen Sie doch eine Zeitreise, nicht wahr?«
    Professor Krawschensky zog die Stirn in Falten und lief ein paar Schritte hin und her. Liza strafte David ebenfalls mit einem Blick, weil er den Professor gereizt hatte. Krawschensky würde nie die Grube sehen und immer hineinfallen.
    »Ich meine damit nicht, ich wiederhole, ich meine damit nicht eine Zeitreise. Dieser Ausdruck ist ein hundertprozentiges Mißverständnis des Phänomens Zeit. Denn wir sind es, die in diesem Moment Zeitreisende sind. Nicht der Stuhl, sondern wir.« Er ballte die Hand und deutete. »Sehen Sie, guter Freund, dort draußen ein Boot, das den Fluß hinaufdampft. Der Fluß ist stark; doch die Maschine an Bord ist es nicht. Es stemmt sich zwar gegen die Strömung, wird aber unbarmherzig abgetrieben. Doch betrachten wir den Fluß in seinem Zusammenhang, und das Boot reist trotzdem. Der Fluß treibt an dem Rumpf vorbei und trägt das Boot nicht ganz mit sich. Guter Freund, wir und das ganze Universum, soweit wir es kennen, befinden uns in der gleichen Lage wie dieses Boot.«
    Der Professor kam ganz dicht heran und blickte David mit Verschwörermiene an.
    »Doch was geschieht, wenn das Boot seine Maschine abstellen kann und sich ganz der Strömung des Flusses überläßt? Im Zusammenhang mit diesem Fluß, in Relation dazu, reist es nicht mehr. Das Wasser um seinen Rumpf verharrt auf der Stelle. Das Boot bildet jetzt eine harmonische Einheit mit dem Fluß. Das gleiche gilt für den Stuhl. Er bildet eine Einheit mit Chronos, mit der Zeit. Er reist nicht mehr. Wir sind es, mein guter Freund, die gegen den Strom ankämpfen und reisen.« Er seufzte und legte die Hände in ergebener Geste zusammen. »Und in diesem Prozeß altern wir. Der Stuhl aber altert nicht.«
    Es folgte eine kleine Detonation, ähnlich der ersten, nur gleichsam rückwärts gespielt, die Luft nach außen drängend, und der Stuhl erschien wieder. Die drei Minuten waren vergangen. Offensichtlich galt das auch für den Stuhl.
    Nur ein paar Sekunden stand er noch an genau der gleichen Stelle wie vorhin, unverändert bis auf diese sonderbare Tintenschwärze, die ihn jetzt überzog. Und dann sank er in sich zusammen und verwandelte sich in schwarzen Staub, während ein halbes Dutzend geschwärzter Nägel über die Bühne rollte.
    »Wieder dieser Holzkohle-Effekt«, seufzte der Professor, »wie enttäuschend.«
    Er lächelte nervös.
    »Der Wiedereintritt ist immer noch zu abrupt, scheint mir. Es ist nicht die Hitze, die ihn in Kohle verwandelt. Es ist die jähe Bewegung der Chronoküle, die daran schuld ist …«
    Liza bückte sich nach einer Kehrschaufel und einem Kehrbesen. In einer Ecke des Laboratoriums stand eine große Wanne, die schon zur Hälfte mit schwarzem Staub gefüllt war.

 
II
     
    Liza Simmons kippte die Schaufel über der Wanne aus. Ein dünner Staubnebel erfüllte die Luft und schlug sich dann als schwarzer Belag nieder. Reiner Kohlenstoff, eine Tetrade, Atomgewicht H 12. Sie war viel zu müde, um sich deswegen noch zu sorgen. Das Adrenalin, das vor diesem Experiment freigesetzt worden war, war mit der Enttäuschung wieder verschwunden wie die Milch, die aus einem gesprungenen Tontopf rinnt. Sie fühlte sich abgeschlafft, leicht unwohl, unfähig zu einem sofortigen Neubeginn, den der Professor von ihr erwarten würde. Diese Abgespanntheit war nicht physischer Natur. Sie arbeitete erst seit zwei Stunden im Labor und hatte die ganze Nacht gut geschlafen. Es war die Angst, die an ihr nagte, die gebändigte Hysterie. Es war die stille Panik des Menschen, der an der Türsperre herumfummelt, während die Bremsen an abschüssiger Stelle versagen. Es war die Müdigkeit des Kleinhirns, das ständig im Krieg mit der Hirnrinde liegt.
    Die übrigen Bewohner des Dorfes gingen einigermaßen gelassen ihrer Arbeit nach. Das solide Gebäude in ihrer Mitte, das das Laboratorium

Weitere Kostenlose Bücher