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Die Zeit-Moleküle

Die Zeit-Moleküle

Titel: Die Zeit-Moleküle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Tätscheln auf die Wange.
    Am Rande der Menge, mitgezogen von der allgemeinen Bewegung, die vom Kai zurückbrandete, stand Roses Varco, einen Grashalm im Mund, lächelnd, ohne zu begreifen. Er war ein Mensch, der niemand etwas nachtrug, obwohl das Boot seine Fische bestimmt für ein paar Stunden vertrieben hatte. Er wußte, daß diesen tumultartigen Bewegungen meistens ein Auftritt der Dorfkapelle folgte. Vor allen anderen menschlichen Werken schätzte Roses Varco besonders das Glitzern und Geschmetter der Dorfkapelle.
    Nachdem die Chrononauten ihre Freiübungen beendet hatten, führte ihr Trainer sie hinüber zum Gründer, um sie einzeln vorzustellen. Er drückte jedem die Hand, blickte hinauf in ihre hoffnungsvollen, begeisterten Gesichter. Sie bestärkten seine eigene Hoffnung. Sein Herz schmerzte vor Verlangen nach ihrer unerreichbaren, unveräußerlichen Schönheit. Sie eilten von dannen zu ihren Studien, um keine Zeit zu versäumen. Sie waren großartig. Und Krancz bewegte sich hin und her, immer wachsam und auf dem Sprung.
    Professor Krawschensky war einer der letzten, der zur Begrüßung eintraf. Vielleicht hatte er den Zufall zu ernst genommen, oder vielleicht war seine Zerstreutheit (wahrscheinlicher) daran schuld. Als er, gefolgt von Liza Simmons, die Stufen vom Labor herunterkam, wurde gerade der Maibaum (23. Juli!) in der Mitte der Dorfwiese aufgerichtet, und die Kapelle stimmte ihre Instrumente. Joseph war in seine Backstube zurückgeeilt. Das Dorf war mit bunten Bändern und Girlanden geschmückt. Der Tanz würde bald beginnen. Gegen Abend würde man dem Gründer die Wahl der Mädchen überlassen; doch er würde vorsichtig, um ihr Zartgefühl nicht zu verletzen, ablehnen, weil er ein Gentleman war (und 87 Jahre alt). Inzwischen bellten die Dorfhunde, die Raben stiegen aus den hohen Bäumen in den Himmel, und Mrs. Kops fand reißend Absatz für ihre Eiskrem, die sie in einem kleinen Eiswagen am Rand der Wiese entlangschob.
    In diese Idylle platzten Professor Krawschensky und Liza hinein. Zwei böse Figuren. Die Dorfbewohner ließen die beiden durch, weder respektvoll noch schadenfroh, sondern aus einem bestimmten Gefühl der Furcht. Der Professor knetete die Hände, suchte Manny Littlejohn und trippelte dann vorwärts.
    »Emmanuel!«
    »Igor!«
    »Emmanuel – wie lange habe ich dich schon nicht mehr gesehen!«
    »Viel zu lange nicht mehr, Igor. Dumme, belanglose Kleinigkeiten haben mich viel zu lange ferngehalten!«
    Sie hielten sich umschlungen. Zwei alte Männer, von jähen, ungewohnten Gefühlen überwältigt.
    »Du bist schmal geworden, Emmanuel. Wer sorgt denn für dich?«
    »Eine alte Vogelscheuche, Igor. Nicht wie bei dir – keine Frau, die mich füttert. Was ist ein Mann ohne Frau?«
    »Und warum ist das so? Du solltest heiraten, Emmanuel. Heirate wie ich. Wer würde sagen, daß es dafür zu spät ist?«
    »Nicht zu spät? Mit siebenundachtzig Jahren? Welche Frau würde mich noch nehmen?«
    »Sie würde dein Geld bekommen, Emmanuel.«
    Der Professor hatte leise gesprochen. Es waren Worte, die aus einem anderen Munde unmöglich gewesen wären … Worte, die man der Liebe zuschreiben mußte, die die beiden vielleicht verband. Sie schwiegen einen Moment, betroffen von der Wahrheit des eben Gesagten. Von einer bestimmten Altersgrenze ab (86?) konnte ein Mensch ungeniert kaufen. Die Dinge wurden von da ab einfacher … Die beiden Männer drückten sich gegenseitig die Oberarme und blickten sich über die Schulter. Doch diese intime Geste war nicht ganz echt. Sie war eine Imitation ihrer Väter, eine Erinnerung an ein vertrautes Bild ihrer Jugend, das sie nachspielten, da sie jetzt im »gleichen« Alter waren. Selbst der Tonfall war genau kopiert und die feuchten Augen. Diese Entrückung in die Erinnerung ließ sie sogar einen Moment vergessen, worüber sie eben gesprochen hatten.
    »Igor … Igor, was macht deine Arbeit?«
    »Großartige Fortschritte. Großartige … du mußt dich selbst davon überzeugen.«
    »Sofort, sofort. Wir wollen sofort ins Laboratorium gehen.«
    »Und die anderen?«
    Professor Krawschensky beschrieb einen Kreis mit der Hand, der den Maibaum, die freudig erregten Dorfbewohner, die Instrumente der Kapelle einschloß. Manny Littlejohn kehrte in die Gegenwart zurück, straffte den Rücken, verdrängte seine Vorfahren, sprach zu dem Projektleiter, David Silberstein, der zu jung war, um die Szene zu begreifen.
    »Ich gehe jetzt in das Laboratorium. Ich werde nicht lange abwesend

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