Die Zeit-Moleküle
vorstellen?«
»Vielleicht gibt es mehr als nur eine Zukunft.« Ein Strohhalm. »Vielleicht gibt es unbegrenzte Möglichkeiten der Zukunft, in denen eine unbegrenzte Zahl von Möglichkeiten durchprobiert werden.«
»Glauben Sie daran?«
»Manche tun es.«
»Ich frage Sie: Glauben Sie daran?«
Draußen auf der dunklen Straße marschierte eine Gruppe von Sicherheitsbeamten. Draußen auf der dunklen Straße war das Dorf wieder sicher. David erinnerte sich an wissenschaftliche Tatsachen. Er war kein Physiker, doch die Reise in die Zukunft war eine Möglichkeit, die bereits bewiesen war. Gab es nicht ein Gleichgewicht der Kräfte? Stand nicht jeder Kraft eine gleichgroße Kraft gegenüber, die entgegengesetzt wirkte? Hier gab es ein Naturgesetz, und das ganze Gerede von Sir Edwin über philosophische Unmöglichkeiten konnte dieses Gesetz nicht aufheben.
Sir Edwin ließ ihm seine kleine Denkpause. Ein Zappeln am Haken. Und dann …
»Betrachten wir das Problem mal von einer anderen Seite, Projektleiter. Wenn es möglich ist, in die Vergangenheit zu reisen, ist es auch möglich, über den Ausgangspunkt hinaus zu reisen, zu einem Zeitpunkt, der vor der Abreise lag. Was ist dann? Werden zwei Exemplare von Ihnen zur gleichen Zeit auf der Erde wandeln? Werden Sie gleichzeitig in der Gegenwart und in Ihrer Vergangenheit existieren? Werden Sie als der in der Vergangenheit Lebende Ihre eigene Vergangenheit so ändern, daß Sie die Reise gar nicht machen werden, die Sie dorthin zurückbringt, wo sie gerade sind …?«
Sir Edwin spreizte bittend die Hände.
Nein. David Silberstein schloß die Augen. Wenn er sie wieder öffnete, würde die Nacht vorüber sein, würde keine Notwendigkeit mehr sein. Nein. Sir Edwin war von Beruf ein Manipulator – ein Manipulator vor Ideen und vor allen Dingen von Worten. Er war ein subversives Element. Alle seine Ausflüchte, seine Rechtfertigungen waren nichts als intelligentes Geschwätz, Verrat … David öffnete die Augen. Nichts hatte sich verändert.
Die Nacht umgab ihn noch immer. Zwei Männer sprachen zusammen in einem hell beleuchteten Büro. Er ließ Sir Edwins Rechtfertigungen hinter sich. Er war mit ihnen fertig.
»Haben Sie wirklich geglaubt, es gäbe noch einen Platz für Sie in der Außenwelt?« fragte er jetzt sachlich, ganz der Profi, der ein Verhör durchführte.
»Ich hatte mir Hoffnung gemacht. Es gab gewisse Pläne. Mit Geld kann man eine Menge kaufen.«
»Tatsächlich? In der unmittelbar vor uns liegenden Zukunft braucht man eine Waffe und ein gutes Auge, wie die Dinge stehen.«
»Auch das kann man kaufen.«
»Und das Fieber, Sie waren bereit, sich auch der Seuche zu stellen?«
»Als der Überfall geplant wurde, war die Seuche noch nicht ausgebrochen. Ich wurde hier im Dorf ausreichend geimpft. Auch das Fieber war eines von zahlreichen Risiken, die man eingehen mußte.«
»Mußte?«
»Ich mußte es. Dieses Dorf lebt von einer falschen Hoffnung. Ich mußte ausbrechen, ehe die Ernüchterung kommt. Sie wird schrecklich sein.«
Hier war endlich etwas, gegen das David ankämpfen konnte. Feigheit, Selbstbemitleidung, Grausamkeit.
»Warum haben Sie mir das alles gebeichtet?«
»Weil Sie mich danach gefragt haben.«
»Sie können doch Ihre Verantwortung nicht einfach so abschütteln. Wenn ich das glauben würde, was Sie mir eben erzählt haben« – er glaubte es nicht, nein, er nicht –, »wäre ich auch ohne Hoffnung. Sie hätten mir meine Hoffnungen weggenommen. Warum?«
»Ich habe Ihnen gar nichts genommen. Sie sind wie ich ein Mann ohne Zukunft, Projektleiter. Sie sind ein Zuschauer. Und Sie wissen das auch. Es gibt also nichts, was ich Ihnen wegnehmen könnte.«
Ein Mann ohne Zukunft … Sir Edwin drosch intelligentes Stroh. Seine Worte bedeuteten nichts. David konnte Sir Edwin zwar widersprechen, aber damit überzeugte er niemand, nicht einmal sich selbst. Menschen zu überzeugen, sich selbst zu überzeugen, war ohne Bedeutung. Die Wahrheit – wenn es eine einzige Wahrheit gab – würde sich langsam herauskristallisieren. Sie würde aus sich selbst kommen. Er spürte jetzt kein Bedauern mehr für Sir Edwin. Auch keine Abneigung. Er stützte die Ellenbogen auf den Tisch und begegnete dem Blick des Älteren. Wie sich das gehörte.
»Sie müssen jetzt gehen«, sagte er dann. »Es gab nichts, was ich für Sie hätte tun können. Aber das wußten Sie schon vorher. Ich ließ Sie hierherbringen, weil ich sicher sein wollte, daß ich verstand.« Hatte er
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