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Die Zeit-Moleküle

Die Zeit-Moleküle

Titel: Die Zeit-Moleküle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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kurz und wenn sich nicht außergewöhnliche Umstände entwickelten, könnte er alle Dorfbewohner, die sich augenblicklich in Quarantäne befanden, spätestens nach vierundzwanzig Stunden wieder entlassen. Er stellte weiterhin fest, daß die tote alte Frau nur mit einem Nachthemd bekleidet war, was darauf schließen ließ, daß die Frau in einem der Häuser am Fluß gewohnt haben mußte und von ihren Verwandten aus Angst vor Ansteckung einfach ins Wasser geworfen wurde. Wenn sich die Verwandten, fuhr Dr. Meyer fort, tatsächlich mit solchen drastischen Maßnahmen vor einer Ansteckung bewahren wollten, hätten sie die Frau schon drei Tage vor ihrem Tod ins Wasser werfen müssen.
    David Silberstein hörte sich den Bericht an und nickte, als habe er das alles vorausgesehen. Er schloß daraus auf einen Zusammenbruch der Ordnung auf eben jenen Gebieten, zu deren Festigung und Schutz das Dorf errichtet worden war. Diese Bereiche hießen private Intimsphäre und nationale Tradition und Struktur. Gesetz und Ordnung waren schon seit Jahren in Auflösung begriffen, und so sorgte David Silberstein wenigstens hier im Dorf für solide Verhältnisse. Er ordnete die sofortige Verbrennung der Leiche im Dorfkrematorium an. Dann ließ er sich mit der Gesundheitsbehörde von St. Kinnow verbinden – was einige Mühe kostete – und meldete, was er getan hatte. Die Leute dort schienen viel zu beschäftigt zu sein, um sich um den Fall zu kümmern.
    Dann versuchte er den Gründer in London zu erreichen. Wie er vermutet hatte, waren alle Leitungen besetzt. Während die BBC immer noch von einer entspannten Lage sprach (obgleich die Quarantäne bereits über Bristol und die Industriebezirke um Salisbury verhängt worden war), wurden Ferngespräche aus den gefährdeten Gebieten nach Möglichkeit blockiert. Er fragte sich, wie lange das Märchen von den geordneten Verhältnissen noch aufrechterhalten werden konnte. Inzwischen mußten ein paar Millionen Einwohner wissen, wie es wirklich im Land aussah.
    Wie zu erwarten, war es Mrs. Lampton, die zuerst den Bann offizieller Zensur durchbrach. Natürlich hatte sie nur die edelsten Motive und brachte dabei die Dinge so durcheinander, daß keiner mehr Herr der Lage wurde. Mittags im Regionalprogramm (das längst nicht so scharf überwacht wurde wie das überregionale) kam ein Interview mit der Generalsekretärin des Komitees für die moralische Verantwortung in Wissenschaft und Forschung. Der Projektleiter nahm die Ankündigung mit gemischten Gefühlen hin. Er ahnte, was kommen mußte.
    Sie begann das Interview mit der Behauptung, sie wolle unter keinen Umständen einen Wirbel machen. (Ihre Hysterie war schon immer ein angeborener Zustand, ein geistiges Gezeter, ein gedankliches Im-Kreis-Herumgaloppieren.) Doch habe die Öffentlichkeit ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. (Die Öffentlichkeit, in ihrem blinden Egoismus, hatte ein Recht darauf, daß man ihr überhaupt nichts sagte.) Was war das für ein geheimnisvolles Fieber? In welchem Ausmaß wütete es, und wie groß war die Gefahr der Ansteckung? Da die Fernmeldeverbindungen ständig unterbrochen waren, fragte sie sich, ob man beabsichtigte, ganz Südwest-England hinter einem cordon sanitaire zu verstecken. Und falls das zutraf, wo lagen die genauen Grenzen dieses cordon sanitaire? (Sie war vernarrt in dieses Fremdwort und verwendete es noch ein paarmal.) Und was passierte nun mit den Leuten hinter dem cordon sanitaire? Die Öffentlichkeit hatte ein Recht darauf, das zu erfahren. Und war es reiner Zufall, daß die Epidemie in den Gebieten wütete, wo sich die Forschungszentren befanden? Sie zählte fünf namentlich auf. Penheniot war auch darunter. (Damit servierte sie den Bewohnern dieser Bezirke einen Sündenbock auf dem Silbertablett. Man wußte jetzt, wer und was an dem Fieber schuld war. Nicht nur an dem Fieber, sondern an allem, was jemals schiefgegangen und in der Zukunft noch schiefgehen würde.) Sie fragte sich, ob nicht das, wogegen ihr Komitee so lange angekämpft hatte, jetzt eingetreten wäre. Es gäbe kein sicheres Mittel gegen menschlichen Irrtum und menschliches Versagen. Und deshalb …
    Doch David Silberstein hatte bereits genug gehört und schaltete das Fernsehgerät ab. Wenige würden seinem Beispiel folgen. Ob sie es nun wußte oder nicht – sie hatte öffentlich zum Kampf aufgerufen.
    Der Projektleiter verließ sein Büro und ging die Hauptstraße hinunter. Im Garten des Laboratoriums waren die Arbeiter aus den

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