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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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Dergestalt uneingeschränkt vertrauen durfte, wenngleich sie mit ihrem lächerlichen Besenstiel reichlich seltsam wirkte. »Nach allem, was geschehen ist, sollten wir auch das als gegeben hinnehmen.«
    »Also gut, aber dann sagt mir wenigstens, wie wir hierhergekommen sind!« Calvins Stimme klang noch immer verärgert, und auf seinem geröteten Gesicht traten die Sommersprossen deutlicher hervor als sonst. »Selbst wenn wir mit Lichtgeschwindigkeit geflogen wären, hätten wir Jahre gebraucht, um so weit zu kommen.«
    »Tja, wir reisen eben nicht mit der Geschwindigkeit von irgendwas«, erklärte Frau Wasdenn ernsthaft. »Wir tessern. Man könnte auch sagen: wir legen eine Falte in die Zeit. Eine Falte durch Zeit und Raum.«
    »Das kapiere ich nicht«, sagte Calvin.
    »Tessern!« überlegte Meg. »Ob das etwas mit der Tesserung zu tun hat, über die Mutter so erschrocken war?«
    Sie wollte schon danach fragen, aber da begann Frau Dergestalt zu sprechen – und es gehörte sich nicht, sie zu unterbrechen. »Ffrau Wwasdenn isst ebenn jjungg unnd nnaiv«, sagte sie.
    »Sie glaubt immer noch, daß sich alles mit Worten erklären läßt«, bekräftigte Frau Dergestalt. »›Qui plus sait, plus se tait.‹ Französisches Sprichwort. ›Je mehr einer weiß, um so weniger spricht er darüber.‹«
    »Aber sie muß sich der Sprache bedienen, wenn sie sich mit Meg und Calvin verständigen soll«, mahnte Charles Wallace sie. »Wenn ihr die beiden schon mitgenommen habt, schuldet ihr ihnen auch eine Erklärung.«
    Meg wandte sich an Frau Dergestalt. Wichtiger als die Frage nach der Tesserung war eine andere: »Ist mein Vater hier?«
    Frau Dergestalt schüttelte den Kopf. »Nnicht hierr, Megg. Ffrau Wwasdenn wwirdd ddir alless erlläuterrn. Ssie isst jjungg unnd kkann mmit dder Ssprache auss Wwörttern bbesserr ummgehenn alss wwirr bbeide.«
    »Wir sind hier gewissermaßen nur zwischengelandet«, erklärte Frau Wasdenn, »um etwas zu verschnaufen. Und um euch mit dem vertraut zu machen, was euch bevorsteht.«
    »Aber was ist mit meinem Vater?« wollte Meg Wissen. »Geht es ihm gut?«
    »Ja, mein Schatz, noch geht es ihm gut. Seinetwegen, unter anderem, sind wir hier. Aber eben nicht nur seinetwegen.«
    »Wo ist er? Bitte bringen Sie mich zu ihm!«
    »Das können wir nicht. Noch nicht«, sagte Charles. »Du mußt Geduld haben, Meg.«
    »Ich habe aber keine Geduld!« widersprach sie böse. »Ich habe noch nie Geduld gehabt!«
    Frau Diedas blinzelte ihr durch die funkelnde Brille freundlich zu. »Wenn du deinem Vater helfen willst, mußt du eben lernen, Geduld zu üben. ›Vitam impendeie veio.‹ Latein. ›Weihe dem Wahren dein Leben‹. Danach müssen wir jetzt handeln.«
    »Danach hat auch dein Vater gehandelt!« Frau Wasdenn nickte heftig. Wie Frau Diedas wirkte sie jetzt sehr ernst, geradezu feierlich. Aber dann lächelte sie wieder herzhaft. »Warum seht ihr drei Kinder euch nicht einfach ein wenig in der Gegend um und laßt euch das Ganze von Charles erklären? Auf Uriel sind wir völlig ungefährdet. Deshalb sind wir ja hier zwischengelandet.«
    »Kommen Sie denn nicht mit?« fragte Meg ängstlich.
    Einen Augenblick schwiegen die drei Damen. Dann hob Frau Dergestalt gebieterisch die Hand. »Llaß ess ssie ssehen!«
    Diese Worte ließen Meg plötzlich erschrecken. Sie fühlte, wie ihr ein Schauder über den Rücken lief.
    »Jetzt schon?« rief Frau Wasdenn, und ihre quietschende Stimme wurde schrill. Was Frau Dergestalt ihnen zeigen wollte, war offenbar auch ihrer Freundin nicht ganz geheuer.
    »Jjetzt!« befahl Frau Dergestalt. »Llaß ess sie am bestenn ggleich erffahrenn.«
    »Soll ich … soll ich mich – verwandeln?« fragte Frau Wasdenn.
    »Ddas wwird ddas besste ssein.«
    »Ich hoffe nur, daß es die Kinder nicht allzusehr erschreckt«, murmelte Frau Wasdenn vor sich hin.
    »Muß ich mich auch verwandeln?« wollte Frau Diedas wissen. »Dabei hat mir diese Verkleidung solchen Spaß gemacht! Obwohl ich zugeben muß, daß die gute Wasdenn uns alle übetroffen hat. ›Und mit Geistesstärke tu ich Wunder auch.‹ Deutsch. Goethe. – Soll ich mich also jetzt verwandeln?«
    Frau Dergestalt schüttelte den Kopf. »Nnoch nnicht. Nnicht hierr. Ddu kannstt wartenn.«
    »So, aber jetzt erschreckt nicht, meine Lieben!« sagte Frau Wasdenn.
    Ihr plumper Körper begann zu flimmern, zu flirren und zu beben. Die hellen Farben ihrer Kleidung wurden gedämpft, dann verblaßten sie. Die ganze formlose Gestalt streckte sich, weitete

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