Die Zeitfalte
eilte auf sie zu und nahm sie in die Arme.
»Ja – aber wo bin ich eigentlich?« fragte Meg atemlos. Erleichtert stellte sie fest, daß sie offenbar wieder wie gewohnt sprechen konnte, und blickte sich rasch um.
Die Sonne schien. Sie befanden sich auf einer Wiese; die Luft war erfüllt mit jenem süßen Duft, der die schönsten Frühlingstage auszeichnet – wenn die Sonne erstmals wärmt und die Apfelblüten sich zu entfalten beginnen.
Meg schob sich die Brille zurecht, wie um sich zu vergewissern, daß sie nicht bloß träumte, was sie sah.
Sie waren im silbrigen Mondlicht einer schon recht kühlen Herbstnacht aufgebrochen; und jetzt erstrahlte alles ringsum in goldener Helle. Das Gras war von zartem, frischem Grün und durchsetzt mit Wiesenblumen in vielen Farben. Als Meg sich langsam umwandte, sah sie vor sich einen hohen Berg aufragen, dessen Gipfel in einer Krone milchweißer Wolken verschwand. In den Bäumen am Fuße des Berges begannen mit einemmal die Vögel zu singen. Alles ringsum verströmte eine Atmosphäre heiterer Ruhe und stillen Friedens. Langsam begann auch Megs Herzschlag sich wieder zu beruhigen.
Erst hörte sie nur die Stimme von Frau Diedas: »›When shall we three meet again in thunder, lightning or in rain.‹ Englisch. Shakespeare. Macbeth. »Sagt, wann ich euch treffen muß in Donner, Blitz oder Regenguß‹« Und plötzlich waren alle drei Damen wieder da: Frau Wasdenn, der die rosarote Stola schief von der Schulter hing; Frau Diedas mit ihrer glitzernden Eulenbrille; und Frau Dergestalt, die noch immer kaum mehr war als ein Schimmern. Zarte bunte Schmetterlinge umflatterten sie, wie um sie zu begrüßen.
Frau Wasdenn und Frau Diedas begannen zu kichern, und sie kicherten und lachten immer wilder, als müßten sie sich gleich vor Vergnügen auf der Erde wälzen. Sogar das Schimmern fiel jetzt in ihr Gelächter ein, verlor dabei etwas an Glanz, verfestigte sich und verwandelte sich zuletzt in eine schwarzgekleidete Gestalt mit einem schwarzen Spitzhut, schwarzen Perlenaugen, einer Hakennase und langen grauen Haaren; die knochigen, krallenartigen Hände umklammerten einen Besenstiel.
»Nnun schönn, wennn ess euch Mäddchenn Spasss machtt, warummm nnichtt?« sagte die seltsame Stimme, worauf Frau Wasdenn und Frau Diedas einander unter stürmischem Gelächter in die Arme fielen.
»Sobald die Damen ihren Spaß ausgekostet haben, schulden sie vielleicht Calvin und Meg eine Erklärung«, sagte Charles Wallace kühl. »Daß ihr Meg ohne jede Vorwarnung mitgeschleppt habt, hat sie ja beinahe zu Tode erschreckt.«
»›Finxerunt animi, raro et perpauca loquentis‹«, deklamierte Frau Dergestalt. »Latein. Horaz. »Zu Taten kaum, zu Worten nie geneigt«.«
»Frau Diedas, würden Sie bitte aufhören, uns ständig mit Zitaten zu belästigen!« Charles Wallace schien verärgert.
Frau Wasdenn rückte ihre Stola zurecht. »Aber Charles, mein Lieber, das Sprechen fällt ihr eben furchtbar schwer. Sie tut sich wesentlich leichter, wenn sie nicht nach eigenen Worten suchen muß.«
»Unnd wwir solltten nnie unsseren Humorr verlierren«, sagte Frau Dergestalt. »Nnichts machtt einne ttodernstte Ssache lleichter, alss wwenn mman ihrr auchh einn wwenig Ffröhlichkeitt abbgewinntt.«
»Das wird allerdings für Meg nicht ganz einfach sein«, räumte Frau Wasdenn ein. »Wie soll sie denn begreifen, daß wir das Ganze in Wirklichkeit sehr ernst nehmen?«
»Und was ist mit mir?« wollte Calvin wissen.
»Das Leben deines Vaters steht nicht auf dem Spiel«, fertigte Frau Wasdenn ihn ab.
»Gut, aber wie ist es dann mit Charles Wallace?«
Frau Wasdenns Stimme hatte zwar nach wie vor den Klang einer rostigen Türangel, aber jetzt schwangen auch Stolz und Zuneigung mit. »Charles Wallace weiß Bescheid. Charles Wallace weiß, daß es nicht nur um das Leben seines Vaters geht. Charles Wallace weiß, was wirklich auf dem Spiel steht.«
»Aber vergeßt dabei eines nicht«, sagte Frau Diedas.
»›A-elptú uden, panta delpizé in chieon.‹ Griechisch. Euripides. »Nichts ist ohne Hoffnung; alles gibt der Hoffnung Raum-.«
»Wo sind wir hier?« fragte Calvin. »Und auf welche Weise sind wir hergekommen?«
»Wir befinden uns auf Uriel, dem dritten Planeten des Sternes Malak im Spiralnebel Messier 101 .«
»Und das soll ich glauben?« rief Calvin entrüstet.
»Gglaubb ess odder gglaubb ess nnicht«, erwiderte Frau Dergestalt kühl.
Meg fühlte – ohne es sich erklären zu können —, daß sie Frau
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