Die Zeitfalte
sich aus, floß ineinander …
Und auf einmal stand vor den Kindern ein Geschöpf, dessen Schönheit Megs Vorstellungskraft bei weitem übertraf; voll Schönheit und Fracht, die nicht allein vom äußerlichen Anblick herrührte. Frau Wasdenn war nicht wiederzuerkennen. Aus ihr war ein Fabelwesen geworden: ein marmorweißer Körper mit mächtigen Flanken – wie der eines Pferdes, aber er glich doch keinem Pferd, denn aus dem prachtvoll gewölbten Rücken wuchs ein edel gebildeter Rumpf, wuchsen kräftige Arme, erhob sich das Haupt eines Menschen – eines Mannes? – mit Zügen voll unsäglicher Würde und vollkommenem Adel. Dieses Wesen verströmte in seiner ganzen Gestalt, in seinem ganzen Sein geradezu überirdischen Seelenfrieden. Nein, noch nie hatte Meg dergleichen gesehen! Nicht einmal ein griechischer Kentaur kam dieser Erscheinung gleich.
Aus den Schultern der Gestalt entfalteten sich allmählich Flügel – Flügel, die aus dem Licht des Regenbogens geformt schienen; aus dem Widerschein des Lichtes auf dem Wasser, aus reinster Poesie.
Calvin sank auf die Knie.
»Nein«, sagte das Wesen – und nicht einmal seine Stimme glich noch jener von Frau Wasdenn. »Nicht vor mir, Calvin. Niemals vor mir. Steh auf!«
»Trrage ssie!« befahl Frau Dergestalt.
Mit einer Bewegung, die anmutig und kraftvoll zugleich war, ließ das Wesen sich nieder, breitete die Flügel, hielt sie ausgestreckt, in leisem Zittern, und die neue Stimme sagte: »Kommt auf meinen Rücken!«
Zögernd näherten sich die Kinder dem prachtvollen Geschöpf.
»Wie … wie sollen wir Sie denn jetzt nennen?« flüsterte Calvin.
»Ach, meine Lieben!« sang die neue Stimme – eine volltönende Stimme, in der die Wärme einer Flöte, die Klarheit einer Trompete, das Geheimnis einer Oboe mitschwangen. »Ihr müßt mir doch nicht jedesmal, wenn ich meine Gestalt ändere, einen neuen Namen geben. Und es hat solchen Spaß gemacht, eine Frau Wasdenn zu sein! Wollen wir nicht dabei bleiben?«
Sie? – Er? – es? lächelte ihnen zu, und der Glanz dieses Lächelns rührte sie an wie ein leiser Windhauch, wie ein wärmender Sonnenstrahl.
»Kommt!« Charles Wallace kletterte auf den Rücken des Geschöpfes. Meg und Calvin folgten seinem Beispiel. Meg saß in der Mitte, zwischen den beiden Jungen.
Ein Beben zitterte durch die mächtigen Flügel, und dann schwang sich Frau Wasdenn vom Boden auf – und sie erhoben sich in die Luft.
Meg fand bald heraus, daß sie sich nicht an Charles Wallace oder Calvin anzuklammern brauchte. Der Flug war angenehm ruhig und gleichmäßig.
Die beiden Jungen betrachteten neugierig die Gegend. »Schaut!« rief Charles Wallace. »Die Berge sind so hoch, daß man ihre Gipfel nicht sehen kann.«
Meg blickte die Felswände empor; sie schienen in der Tat ins Unendliche zu reichen.
Sie ließen das fruchtbare Land hinter sich und flogen über ein weites Gebiet, das durch hohe Felsnadeln aus granitähnlichem Gestein gegliedert wurde. Sie waren von gleichmäßiger, harmonischer Gestalt, aber keine Statuen. Meg kannte nichts Vergleichbares, und sie hätte gern gewußt, ob sich diese Gebilde schon bei der Entstehung des Sterns aufgefaltet hatten, ob Wind und Wetter sie geprägt hatten oder ob sie das Werk ähnlicher Wesen waren wie jenem, auf dessen Rücken sie jetzt saßen.
Sie verließen auch das Granit-Plateau und flogen nun über einer traumhaft schönen Gartenlandschaft dahin. Hier tummelten sich viele Geschöpfe, die der verwandelten Frau Wasdenn glichen. Die einen lagerten zwischen den Blumen, andere schwammen in einem breiten, kristallklaren Fluß; wieder andere flogen zwischen den Bäumen in genau abgezirkelten Figuren, die Meg für einen Tanz hielt. Dazu sangen sie; nein: auch die Musik entströmte dem Flügelschlag ihrer mächtigen Schwingen.
»Wovon singen sie?« wollte Meg wissen.
Frau Wasdenn schüttelte ihr prächtiges Haupt. »Das läßt sich in Worten nicht ausdrücken. Ich kann es nicht in eure Sprache übersetzen. Verstehst du etwas, Charles?«
Charles Wallace setzte sich kerzengerade auf und lauschte angestrengt. So hatte er auch gelauscht, wenn er versucht hatte, sich in Meg oder Mutter hineinzuversetzen. »Ich verstehe nur wenig«, gab er zu. »Nur sehr wenig. Aber ich glaube, ich könnte es allmählich herausbekommen.«
»Ja, du könntest es lernen, Charles. Aber wir haben keine Zeit dafür. Wir dürfen hier nur bleiben, bis wir uns etwas erholt haben und die wichtigsten Vorbereitungen getroffen
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