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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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damit meine?«
    »Nein«, gestand Meg unumwunden.
    Frau Wasdenn seufzte. »Es ist nicht leicht, etwas zu erklären, für das eure Menschheit noch keine Worte kennt. Calvin wollte zuvor wissen, ob wir mit Lichtgeschwindigkeit gereist seien. So viel verstehst du doch, meine kleine Meg?«
    »Ja.« Sie nickte.
    »Das ist aber der lange, der unpraktische Weg. Wir haben gelernt, eine … Abkürzung zu nehmen.«
    »So, wie wenn man in Mathematik mit Vorteil rechnet?« fragte Meg.
    »So ähnlich.«
    Frau Wasdenn wandte sich an Frau Diedas und bat sie: »Nimm deinen Rock und zeig es ihnen!«
    »›La experiencia es la madré de la ciencia.‹ Spanisch, meine Lieben. Cervantes. ›Die Erfahrung ist die Mutter des Wissens‹.« Frau Diedas raffte ihr weißes Gewand hoch und spannte es straff.
    »Jetzt gebt acht!« sagte Frau Wasdenn. »Nehmt an, eine kleine Ameise wollte von der rechten Hand meiner Freundin zu ihrer linken Hand wandern. Da hat sie also eine lange Reise quer über die ganze Stoffbahn vor sich.«
    Nun führte Frau Diedas ihre Hände langsam zusammen und legte sie so aneinander, daß der Stoff erst durchhing und sich dann faltete.
    »Seht ihr?« sagte Frau Wasdenn. »Jetzt kommt die Ameise auf kurzem Weg von hier nach drüben. Genau so werden auch wir reisen.«
    Charles Wallace hatte die Erklärung auf Anhieb verstanden. Calvin nickte bloß.
    Nur Meg seufzte leise. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich bin wahrscheinlich wirklich ein Dummkopf. Aber ich habe es nicht mitgekriegt.«
    »Das kommt davon, weil du dir den Raum bloß dreidimensional denkst«, sagte Frau Wasdenn. »Wir aber reisen in der fünften Dimension. Keine Sorge, Meg, das ist etwas, das du ohne weiteres verstehen kannst. Deine Mutter fand wohl keine Gelegenheit mehr, dir das Prinzip der Tesserung zu erklären?«
    »Nein«, sagte Meg. »Als Sie dieses Wort erwähnten, geriet sie völlig aus der Fassung. Warum, Frau Wasdenn? Sie sagte, es hätte etwas mit ihr und Vater zu tun.«
    »Ganz recht. Die Tesserung ist eine Hypothese, mit der sich die beiden beschäftigt hatten: der Übergang von der vierten in die fünfte Dimension. – Hat deine Mutter es vielleicht dir erklärt, Charles?«
    »Hm, allerdings.« Charles blickte ein wenig verlegen drein. »Sei jetzt deshalb bitte nicht gleich gekränkt, Meg! Du warst in der Schule, und ich nützte eben die Gelegenheit, Mutter so lange zu beschwatzen, bis ich es aus ihr herausbrachte.«
    Meg seufzte. »Na gut, dann erfahre ich das alles eben jetzt von dir.«
    »In Ordnung«, sagte Charles. »Was ist die erste Dimension?«
    »Nun ja, ein Punkt, oder, besser: eine Linie.«
    »Richtig. Und die zweite Dimension?«
    »Das ist einfach: die Fläche. Aus der Linie wird ein Quadrat. Das hat eine Fläche; sie ist in der zweiten Dimension.«
    »Und die dritte?«
    »Der Raum. Sie ergibt sich aus dem Quadrat der zweiten Dimension. Aus unserer quadratischen Fläche wird ein Würfel. Er hat ein Unten und Oben und vier Seitenwände. Er umschließt also einen Raum.«
    »Und die vierte?«
    »Ah, ich glaube, ich weiß schon, worauf du es abgesehen hast. Nun gut: Mathematisch ausgedrückt entsteht die vierte Dimension aus dem Quadrat der dritten, also des Raumes. Diese Verwandlung des Würfels läßt sich zwar mit Bleistift und Papier nicht mehr darstellen; ich weiß aber, daß die vierte Dimension etwas mit Einstein zu tun hat. E=mc 2 ›Energie ist gleich Masse mal dem Quadrat der Beschleunigung.‹ … c 2 Das Quadrat! Das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. Das Licht bewegt sich. Ein Vorgang, der Zeit beansprucht … Zeit! Könnte die vierte Dimension die Zeit sein?«
    »Richtig!« lobte Charles. »Du hast es kapiert. Na schön, und für die fünfte Dimension nehmen wir eben die vierte zum Quadrat, oder?«
    »Klingt logisch.«
    »Siehst du. Und das geschieht bei der Tesserung. Du gehst von den vier bekannten Dimensionen aus, fügst die fünfte hinzu – und schon kannst du Zeit und Raum überwinden, ohne dich auf die langsame, herkömmliche Weise abplagen zu müssen. Mit anderen Worten: was der gute alte Euklid behauptet hat, stimmt doch nicht ganz: die Gerade ist nicht die kürzeste Verbindung zweier Punkte.«
    Für einen beglückten kurzen Augenblick nahm Megs Gesicht jenen prüfenden, alles durchdringenden Ausdruck an, den sie so oft bei Charles beobachtet hatte.
    »Ich hab‘s verstanden!« rief sie. »Ich habe es mitbekommen! Ich könnte es dir wahrscheinlich nicht erkären, aber ich habe es im Prinzip erfaßt!« Sie wandte

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