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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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alten Landstreicherhut auf dem Kopf.
    Frau Dergestalt war noch immer unsichtbar. »Ihr wißt doch, wie schwer es ihr fällt, sich zu materialisieren«, sagte Frau Wasdenn begütigend. »Wer nicht selbst aus reiner Substanz besteht, kann sich kaum vorstellen, wie widerspenstig sich das Protoplasma manchmal verhält.«
    »Ess ttut mirr wirrklichh lleid!« beteuerte Frau Dergestalts Stimme, klang aber nichtsdestoweniger eher belustigt.
    »Solche Spaße macht man einfach nicht!« schimpfte Charles Wallace und stampfte wie ein kleines Kind mit dem Fuß auf.
    Die Brillengläser von Frau Diedas funkelten auf, und gemächlich trat ihre ganze Gestalt in Erscheinung. »›We are such stuff as dreams are made on‹«, sagte sie und grinste. »»Wir sind aus solchem Stoff, wie sonst nur Träume.« Englisch. Shakespeare. Prospero im ›Sturm‹. Das Stück mag ich.«
    »Sie hat das doch nicht etwa absichtlich getan?« rief Charles Wallace.
    »Aber mein Schatz, wo denkst du hin!« versuchte Frau Wasdenn ihn zu besänftigen. »Es war ein verständlicher Irrtum, weiter nichts. Für Frau Dergestalt ist es eben furchtbar schwer, in körperlichen Dimensionen zu denken. Du weißt doch, daß sie euch nie absichtlich Schmerz zufügen würde. Und es ist wirklich ein so hübscher kleiner Planet. Wir freuen uns immer, wenn wir hinkommen, denn uns macht es Spaß, zur Abwechslung einmal flach zu sein.«
    »Wo sind wir denn jetzt?« wollte Charles Wallace wissen. »Und was haben wir hier vor?«
    »Wir befinden uns im Gürtel des Orion. Hier haben wir eine Freundin. Und außerdem möchten wir euch einen kleinen Blick auf euren eigenen Planeten werfen lassen.«
    »Wann kehren wir eigentlich wieder zurück?« fragte Meg besorgt. »Wie geht es Mutter? Und den Zwillingen? Und Fortinbras? Sie machen sich bestimmt schon Sorgen um uns. Mutter wird Todesängste ausstehen, weil wir nicht rechtzeitig zum Schlafengehen nach Hause gekommen sind. Bestimmt werden sie uns längst überall suchen und nirgendwo finden!«
    »Nur keine Panik, mein Schatz!« erwiderte Frau Wasdenn unbesorgt. »Das alles haben wir bedacht, ehe wir loszogen. Wir wissen, daß deine Mutter es schwer genug hat. Sie muß sich um euch kümmern; sie weiß nicht, wo euer Vater so lange bleibt; da werden wir sie doch nicht zusätzlich belasten. Nein, nein. Wenn wir tessern, machen wir das so, daß wir nicht nur den Raum falten, sondern auch die Zeit. Das geht ganz einfach – wenn man weiß, wie es gemacht wird.«
    »Wie meinen Sie das?« fragte Meg kleinlaut. »Ach, Frau Wasdenn, ich kann das alles so schwer begreifen!«
    »Beruhige dich, mein Kind, und mach dir keine unnützen Sorgen!« sagte Frau Wasdenn. »Wir haben eine hübsche kleine Zeitfalte gelegt. Und wenn nicht irgendetwas schrecklich danebengeht, liefern wir euch knapp fünf Minuten nach eurer Abreise wieder daheim ab. Keine Menschenseele wird auch nur ahnen, daß ihr überhaupt fortgewesen seid. Eurer Mutter werdet ihr natürlich alles brühwarm erzählen. Die Ärmste! Was sie sich wohl dabei denken wird? – Andererseits: Sollte tatsächlich etwas schrecklich danebengehen, ist ohnedies belanglos, ob wir noch einmal zurückkommen oder nicht.«
    »Mmach ihnenn ddoch nnicht gleichh Angstt!« ließ sich Frau Dergestalts Stimme vernehmen. »Oderr hastt ddu schonn sselbst den Mutt werlorenn?«
    »Nein. Aber nein.«
    »Das klang jetzt aber nicht gerade überzeugt!« dachte Meg.
    »Hoffentlich ist wenigstens dieser Planet einigermaßen annehmbar«, sagte Calvin. »Sehen kann man hier ja nicht viel. Klart es denn nie auf?«
    Meg blickte sich um. Die Reise und der Zwischenaufenthalt auf dem zweidimensionalen Stern hatten sie so beschäftigt, daß sie noch gar keine Zeit gefunden hatte, ihre neue Umgebung zu mustern. Das war insofern verständlich, als es hier so gut wie keine Umgebung gab. Der Boden war glatt, eben und von unbestimmbarer Beschaffenheit. Die Luft war grau. Sie waren nicht gerade von Nebel umgeben, aber man konnte trotzdem nichts erkennen. In Sichtweite befanden sich nur die tatsächlich vorhandenen Körper von Charles Wallace und Calvin, die scheinbar vorhandenen Körper von Frau Wasdenn und Frau Diedas sowie ein gelegentliches Aufschimmern von Frau Dergestalt.
    »Kommt, Kinder!« forderte Frau Wasdenn sie auf. »Wir haben nicht weit und gehen am besten zu Fuß. Ein bißchen Bewegung wird euch nicht schaden.«
    Als sie sich durch das eintönige Grau tasteten, erkannte Meg da und dort schlackenartige Felsen, aber

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