Die Zeitfalte
sagte Charles Wallace.
»Keine Frage! Aber diese Entscheidungen, eure und meine, werden völlig übereinstimmen. Fühlt ihr denn nicht, wie vorteilhaft und einfach dadurch alles für euch wird! Kommt, sagen wir gemeinsam das Einmaleins auf!«
»Nein!« widersetzte sich Charles Wallace.
»Einmal eins ist eins. Einmal zwei ist zwei. Einmal drei ist drei.«
»›Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her!‹« begann Charles Wallace lauthals zu singen.
»Einmal vier ist vier. Einmal fünf ist fünf. Einmal sechs ist sechs.«
»›Sonst wird dich dei Jäger holen, mit dem Schießgewehr!‹«
»Einmal sieben ist sieben. Einmal acht ist acht. Einmal neun ist neun.«
»›Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald … ‹«
»Einmal zehn ist zehn. Einmal elf ist elf. Einmal zwölf ist zwölf.«
Die Zahlen hämmerten Meg so hartnäckig ins Hirn, als wollten sie sich mit Gewalt in ihr Bewußtsein bohren.
»Zweimal eins ist zwei. Zweimal zwei ist vier. Zweimal drei ist sechs.«
Jetzt begann auch Calvin zornig zu singen:
*
»Die Gedanken sind frei!
Wer kann sie erraten!
Sie fliehen vorbei,
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Kerker einschließen.
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei!«
*
»Zweimal vier ist acht. Zweimal fünf ist zehn. Zweimal sechs ist zwölf.«
»Vater!« brüllte Meg. »Vater!« Der Aufschrei, halb unbewußt, riß ihren Verstand aus der Dunkelheit zurück.
Die Zahlenreihe des Einmaleins löste sich in einem fröhlichen Lachen auf. »Ausgezeichnet! Ausgezeichnet! Die erste Prüfung habt ihr mit fliegenden Fahnen bestanden!«
»Sie werden doch nicht im Ernst gedacht haben, daß Sie uns mit diesem dummen Trick hereinlegen können!« rief Charles Wallace entrüstet.
»Oh, bestimmt nicht. Ich hoffte es zumindest. Für euch. Aber ich dachte, da ihr noch so jung seid und so leicht zu beeinflussen … Je jünger, um so besser, mein Kleiner. Je jünger, um so besser.«
Meg blickte zu den rotglühenden Augen auf, blickte in das zuckende Licht der Lampe, schlug die Augen aber gleich wieder nieder. Dann versuchte sie, sich nur auf den Mund zu konzentrieren, nur auf die dünnen, farblosen Lippen; und das gelang ihr einigermaßen, obwohl sie ihre Augen nur einen Spaltbreit öffnete und daher nicht genau erkennen konnte, wie der Mann eigentlich aussah: ob er jung war oder alt, ob seine Züge grausam waren oder gütig – ob er überhaupt etwas Menschliches an sich hatte.
»So hören Sie doch, bitte«, sagte sie und bemühte sich, ihrer Stimme einen ruhigen, festen Ton zu geben. »Wir sind nur gekommen, weil wir glauben, daß unser Vater hier ist. Können Sie uns sagen, wo wir ihn finden?«
»Ah, euer Vater!« Das klang überaus belustigt. »Ah, ja! Euer Vater! Die Frage ist nicht, ob ich es euch sagen kann, sondern, ob ich das auch will.«
»Also, gut: wollen Sie es uns sagen?«
»Das kommt ganz darauf an. Zunächst: warum wollt ihr zu eurem Vater?«
»Haben Sie selbst denn nie einen Vater gehabt?« fragte Meg. »Sie müssen doch wissen, daß man dafür keine Gründe braucht. Wir wollen zu ihm, weil er unser Vater ist.«
»Ah, aber er hat sich doch in letzter Zeit nicht gerade sehr väterlich benommen, oder? Er hat seine Frau und seine vier Kinder im Stich gelassen, um sich auf eigene Faust in die wildesten Abenteuer zu verstricken.«
»Er hat einen Regierungsauftrag übernommen. Sonst wäre er nie fortgegangen. Und wir wollen zu ihm. Bitte! Jetzt gleich!«
»Aber, aber, junge Dame! Wer wird denn so ungeduldig sein? Geduld, mein kleines Fräulein, Geduld!«
Meg verzichtete darauf, dem Mann zu sagen, daß Geduld nicht gerade ihre Stärke war.
»Übrigens, meine Kinder«, fuhr die Gedankenstimme unbeeindruckt fort, »ihr braucht mit mir nicht erst mühevoll in Worten und Sätzen zu sprechen. Ich kann euer Denken ebensogut verstehen wie ihr das meine.«
Charles Wallace stemmte die Hände in die Hüften. »Die Sprache ist eine menschliche Errungenschaft«, erklärte er trotzig. »Und ich werde nicht davon abgehen, mich ihrer auch weiterhin zu bedienen – vor allem im Umgang mit Personen, denen ich nicht trauen kann.« Seine Stimme zitterte. Charles Wallace, der doch sonst kaum weinte, war den Tränen nahe.
»Und mir traust du nicht?«
»Welchen Anlaß haben Sie uns gegeben, Ihnen zu trauen?«
»Welchen Anlaß habe ich euch gegeben, mir nicht zu trauen?« Die schmalen Lippen des Mannes kräuselten sich spöttisch.
Plötzlich stürmte Charles
Weitere Kostenlose Bücher